Von Melina Koch und Milena Zimmermann
„[Die Verbannten und Vertriebenen im Ausland] zeigen am lebenden […] Beispiel, was ‚Deutschland‘ ist – das Land des Wissens und der Forschung, das Land der Philosophie und der Menschlichkeit, und nicht das Land der Barbarei, des Ungeistes, der Unfreiheit und des Kommißstiefels […]“, so Hubertus Prinz zu Löwenstein in der österreichischen Tageszeitung Der Wiener Tag 1935 – heute zu finden in der virtuellen Ausstellung „Künste im Exil“: https://kuenste-im-exil.de. Die Äußerung zeigt, wie sehr der Journalist, Jurist und Politiker seine Heimat wertschätzte. Das nationalsozialistische Regime zwang ihn und circa eine halbe Millionen Exilierte aus ihrer Heimat Deutschland zu fliehen. Schaut man auf die heutige Bundesrepublik, lässt sich ein kompletter Wandel erkennen: Deutschland ist heute ein Zufluchtsort und ein Ort der Sicherheit geworden. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beantragten seit 2011 2,3 Millionen Menschen Asyl in Deutschland. Das Thema Exil ist aktueller denn je und hat sich dennoch verändert. Gerade wegen der überdeutlichen Unterschiede zwischen der damaligen und heutigen Zeit, lohnt es sich, die Bedeutung von Exil immer wieder neu zu betrachten.
Zunächst historisch: Einer unter den unzähligen Geflüchteten war der Journalist und Jurist Hubertus Prinz zu Löwenstein. Er wurde vor allem aufgrund seines politischen Engagements als aktiver Demokrat ins Exil gezwungen. 1933 verließ er Deutschland und emigrierte nach Österreich. Auch England und die USA boten dem politischen Geflüchteten von 1935 bis 1946 ein „Zuhause“. In den USA gründete zu Löwenstein im April 1935 die Hilfsorganisation American Guild for German Cultural Freedom für deutsche Künstler:innen und Intellektuelle. An den tschechischen Außenminister Edvard Beneš wandte er sich im Sommer 1935 mit diesen Worten: „Nur auf diese Weise können wir hoffen, zunächst außerhalb Deutschlands das verlorene Terrain zurückzugewinnen, den deutschen Bewohnern der Randstaaten zu beweisen, daß die wahre deutsche Kultur nicht mit der Berliner Propagandamache identisch ist, und vielleicht letzten Endes auf die verirrten Brüder in Deutschland einzuwirken.“
Zu Löwenstein sah in dieser Hilfsorganisation die Möglichkeit einer Vernetzung der Exilierten und die Beschaffung von Arbeitsmöglichkeiten im Ausland. Die geflohenen Künstler:innen verstanden sich also als Träger:innen der deutschen Kultur, als diejenigen die die deutsche Kultur am Leben hielten. Die Hilfsorganisation musste 1940 ihre Arbeit beenden, als die Spenden, die Haupteinnahmequelle der Organisation, zurückgingen, und es interne Unstimmigkeiten gab. Im Oktober 1946 war Hubertus Prinz zu Löwenstein einer der ersten Rückkehrer nach Deutschland. In seinem Heimatland nahm er seine Arbeit als Politiker und Journalist wieder auf. Unter anderem arbeitete er als Abgeordneter des Bundestages für die FDP von 1953 bis 1957. Sein frühes Engagement für die junge Bundesrepublik weist auch auf dessen tiefe Verwurzelung und Verbundenheit hin, denn „(…) Deutschland ist das Land des Wissens und der Forschung, das Land der Philosophie und der Menschlichkeit“, so zu Löwenstein 1935 in Der Wiener Tag.
Damit steht seine Biographie zugleich für massive geschichtliche Umbrüche und Veränderungen: den historischen Ausgangspunkt für die Flucht aus Deutschland bildet die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933. Für viele Kunstschaffende und politisch Verfolgte war das Exil nun der einzige Ausweg. Frankreich und die Tschechoslowakei erwiesen sich dabei als die bevorzugten Exilländer. Im Jahr 1938 als das NS-Regime seine Macht auf Europa ausweitete, verlagerte sich die Flucht auf andere Länder, wie die USA, Großbritannien und Palästina. Auch wenn die Einreise in diese Länder oft mit Hürden verbunden war, nahmen viele Menschen die Flucht auf sich. Der Wendepunkt Deutschlands vom ‚Fluchtland’ zum Zufluchtsort beginnt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das demokratische Deutschland entwickelte sich zu einem Land der Sicherheit, des Wohlstandes und der Freiheit. Bis heute ist Deutschland eines der Hauptzielländer für diejenigen, die auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung sind. Seit dem Jahr 2015 haben 1,6 Millionen Menschen in Deutschland zeitweilig Schutz gesucht oder erhalten ihn noch immer. Die Gründe für das Exil waren und sind verschieden und vielfältig: vor allem Krieg, Verfolgung von Minderheiten, Unterdrückung der Meinungsfreiheit und Weltanschauung. Aktuell aber auch: ökonomische und ökologische Gründe sowie sexuelle Diskriminierung.
Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit trieb auch den Journalisten und Schriftsteller Can Dündar aus seinem Land: „Wo ich schreibe, ist die Türkei.“ – Mit diesem Zitat eröffnete der türkische Journalist und Buchautor im Jahr 2018 den Auftakt des ersten Exile Media Forums der Körber Stiftung. Der ehemalige Chefredakteur der Tageszeitung CumhuriyetCan Dündar wurde im Jahr 2016 zu einer Haftstrafe verurteilt, da er einen Bericht veröffentlicht hatte, der die Waffenlieferung der Türkei an syrische Extremisten aufdeckte. Mit der Flucht nach Deutschland erhielt der Journalist die Möglichkeit, der drohenden Haftstrafe zu entkommen.
„Das Exil ist eine schmerzhafte, entbehrungsreiche, bittere Lebenserfahrung. Aber es hat auch Aspekte, die einem Schriftsteller […] neue Wege, neue Türen, neue Horizonte öffne[n]“, erläutert Dündar in seiner Rede und merkt an, dass er noch immer für die Werte stehe, die ihn zu seiner Flucht gezwungen hätten. Das Exile-Media-Forum ist eine jährlich in Hamburg stattfindende Fachkonferenz, die „deutsche Medienschaffende und im Exil lebende Journalisten zusammenführt“, so die Körber Stiftung selbst. Rund 100 Expert:innen und Medienschaffende nehmen an diesem Fachtreffen teil, auf dem unter anderem Themen wie Migration, Exil und Globalisierung diskutiert werden. Der Schriftsteller Can Dündar ist als Eröffnungsredner einer derjenigen, die für ihre Heimatkultur einstehen. Mit seinem Zitat „Wo ich schreibe, ist die Türkei“ bezieht er sich nicht nur auf eine berühmte Äußerung Thomas Manns, sondern drückt auch seine Verbundenheit mit der türkischen Kultur aus. Beide – Thomas Mann wie Can Dündar – betonen, dass Kultur nicht an das Land selbst, sondern an die Kunstschaffenden gebunden ist. Dündar arbeitet auch weiterhin als Journalist und ist darüber hinaus Ehrenmitglied des PEN-Zentrums Deutschland. Bis 2018 war er zudem Fellow für das „Writers-in-Prison/ Writers-at-Risk“-Programm des deutschen PEN- Zentrums.
„Deutschland – Vom ‚Fluchtland‘ zum Zufluchtsort“: Fest steht, dass unabhängig vom großen historischen Abstand sowohl Hubertus Prinz zu Löwenstein als auch Can Dündar die Kultur ihres Heimatlandes nicht zurückließen, sondern sie auch im Ausland persönlich repräsentierten. Für beide war das Leben im Exil nicht nur negativ, sondern eröffnete auch „neue Wege, neue Türen [und] neue Horizonte“, so Dündar. Auch wenn sich Exil historisch stets verändert, eine Konstante bleibt: Das Gefühl und die Aufgabe, die eigene kritische Kulturtradition des Heimatlandes zu erhalten und öffentlich-medial zu vermitteln.
Links zu den Ausstellungen:
Zu Prinz Hubertus zu Löwenstein siehe die Online-Ausstellungen des Deutschen Exilarchivs 1933-1945/DNB Frankfurt.
Künste im Exil: https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Themen/american-guild.html
Exil Erfahrung Zeugnis: https://exilarchiv.dnb.de/DEA/Content/DE/Personen/loewenstein-hubertus.html
Zu Can Dündar siehe PEN Zentrum Deutschland: https://www.pen-deutschland.de/de/themen/writers-in-prison/aktuelle-ehrenmitglieder/can-duendar-tuerkei/