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Einblicke in den Deutschunterricht für Geflüchtete

Von Uliana Deddner, Kristin Bukovac und Lisa Schlothane

Gießen. Plusquamperfekt. Konjunktiv II. Wechselpräposition. Wer von Ihnen kennt diese Grammatikregeln und kann ihren Gebrauch spontan erklären?

Diese Regeln werden nahezu täglich in der deutschen Alltagssprache genutzt, jedoch wissen die wenigsten Muttersprachler:innen, wie komplex diese im Lernaufwand und der späteren Anwendung sind. Beispielsweise wird der Konjunktiv II bei Wünschen, Vermutungen, Erstaunen oder Zweifel und bei irrealen Bedingungen verwendet. Sowohl die theoretische Anwendung als auch die Bildung des Konjunktiv II lernen sechzehn Teilnehmende in einer Doppelstunde des Flüchtlingskurses des Akademischen Auslandsamts der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Die Lerngruppe, die überwiegend aus ukrainischen Geflüchteten besteht, trifft sich täglich drei Stunden, um die deutsche Sprache zu erlernen und somit die Kompetenzstufe B1.2 zu erreichen. Ein dreiviertel Jahr intensives Sprachlernen liegt bereits hinter den Teilnehmenden, welche das Niveau des Kurses zwar als angemessen empfinden, sich jedoch mehr Anwendungsmöglichkeiten im Alltag wünschen. Geleitet wird der Kurs von zwei sich abwechselnden Lehrerinnen (s. hierzu der Artikel Dickes Fell und Feingefühl – Aus dem Alltag einer DaZ-Lehrkraft in der Erwachsenenbildung).

Im Unterricht wird das Buch Motive B1 verwendet, das aus zwei Teilen besteht (Kursbuch und Arbeitsbuch). Die Teilnehmenden setzen sich über einen Zeitraum von sieben Wochen mit einer umfangreichen Liste von Grammatikthemen auseinander. Das Ziel des Kurses ist, dass die Teilnehmer:innen in der Lage sind, sprachlich komplexere Alltagssituationen zu bewältigen. So berichtet ein Teilnehmer, dass er die deutsche Sprache in Alltagssituationen, auf die er sich sprachlich vorbereite, nutzen könne. Ihn würden jedoch Situationen, wie eine Beratung/Terminvereinbarung mit der Sparkasse und bei denen Rückfragen oder komplexere Angelegenheiten besprochen werden, überfordern.

Auch die Themen Beziehungen und Auswanderung, die in alltäglichen Gesprächen häufig vorkommen, werden sprachlich umfassend behandelt.

Bei erfolgreichem Abschluss der Niveaustufe B1.1 sollten die Teilnehmenden Nebensätze in der Vergangenheitsform sowie die Deklination von Adjektiven und das Passiv bilden können. 

Weitere Informationen zu den Anforderungen der B1.1 sowie der B1.2 Kurse finden Sie hier: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Integration/Berufsbezsprachf-ESF-BAMF/BSK-Rundschreiben/2019/190128-traegerrundschreiben-01-19-anl-02.pdf?__blob=publicationFile&v=7

Im Rahmen einer Unterrichtstunde werden zunächst die erledigten Hausaufgaben besprochen. Diese behandeln beispielsweise grammatische Regeln, wie das Bilden des Plusquamperfekts in Nachdem-Sätzen. Daraufhin folgen weitere Auffrischungen von bereits behandelten Themen. Hier ist bereits ersichtlich, dass das Wissen rund um komplexe Grammatikregeln, wie der Gebrauch des Plusquamperfekts, gelehrt und erwartet wird. Außerdem werden Nominalisierungen, Präpositionen mit dem Akkusativ und dem Dativ (Wechselpräpositionen) sowie indem-Sätze mit Perfekt Gegenstand dieses Kursniveaus sein. Ein Haupthema, das innerhalb der Sprachkurse angesprochen wird, sind Filme. Hier wird das Produzieren von eigenen Texten, im Rahmen einer Inhaltsangabe eines Filmes, gefördert. Durch das Vorlesen dieser und dem Erraten, um welchen Film es sich handelt, wird zeitgleich auch das Textverstehen gefördert. 

Jedoch können die Unterrichtsinhalte nicht alles abdecken, was in Alltagsituationen gebraucht wird. So erzählen drei Anfang Zwanzigjährige, welche aus der Ukraine stammen und bereits über eine universitäre Laufbahn verfügen, dass sie mit dem generellen Aufbau des Kurses zufrieden sind. Jedoch wird angemerkt, dass neben den universitären Veranstaltungen und Erwerbstätigkeiten die Zeit zum Vokabelnlernen fehle. Der durchschnittliche Zeitaufwand für das Lernen außerhalb der Unterrichtszeiten weist unter den Teilnehmenden eine hohe Varianz auf. So wird eine Lernzeit von zwei bis zehn Wochenstunden angegeben.

Außerhalb des Unterrichts fällt es allen Befragten schwer, das Gelernte im Alltag anzuwenden, da beispielsweise im beruflichen und universitären Umfeld schnell in die englische Sprache gewechselt werde. Daher wird der Wunsch geäußert, dass stattdessen durchgehend auf Deutsch kommuniziert werden soll. Die Befragten sind der Meinung, dass ihnen zusätzliche Kursstunden eine große Hilfe sein würden. Da insbesondere für die eigene Textproduktion, in der aktuellen Kurskapazität, nicht genug Zeit bliebe. 

Neben dem Kursbuch nutzen die Teilnehmenden teilweise zusätzliche Lernangebote, wie beispielweise Apps zum Sprachelernen, Serien mit deutschen Untertiteln oder Artikel in Magazinen. 

Neben den staatlichen Kursen, die eine umfassende Grundlage der sprachlichen und grammatischen Regeln bieten, können noch freiwillige Angebote genutzt werden, um den alltäglichen Sprachgebrauch weiter zu festigen. Beispielweise gibt es kirchliche und ehrenamtliche Angebote zum Deutschlernen, die dies fördern. (s. Artikel Sprechen für Sprache. Menschlicher Mitteilungsbedarf beim Spracherwerb).