Bilder von der ersten Aufführung von „Hester“ im botanischen Garten, gemacht von Siegfried Fritz

Von Emely Ott

Cora Dietl ist Professorin für Deutsche Literaturgeschichte an der Justus-Liebig-Universität mit dem Schwerpunkt Mittelalter und Frühe Neuzeit. Seit 2007 bietet sie regelmäßig Seminare zum Thema „Aufführung als Weg zum Verständnis von Dramen“ an. Hier haben Studierende die Möglichkeit, mittelalterliche Dramen auf die Bühne zu bringen und sie somit ganz anders, nämlich live, zu erleben.

Wer kann an diesem Kurs teilnehmen?

Das Angebot richtet sich vor allem an alle Studierende der Germanistik. Das schließt die Lehrämtler mit ein, aber auch die Angewandten Theaterwissenschaften. Es gibt sogar einige, die schon mehrmals mitgemacht haben, einfach weil sie Spaß daran haben. Eine der Mitwirkenden studiert schon gar nicht mehr.

Welche Dramen werden aufgeführt und wie wird entschieden, welche?

Im Sommersemester orientiert sich die Textauswahl an Stücken, die auch in meinen anderen Seminaren bearbeitet werden. Ursprünglich wurden diese Texte speziell für Festlichkeiten, wie Hochzeiten oder Jubiläen geschrieben. Die Inszenierungen im Wintersemester richten sich ebenfalls nach meiner Forschung. Stehen beispielsweise die Adventszeit oder andere Festlichkeiten an, werden Stücke ausgesucht, die thematisch passen. Im Moment werden von mir Schweizer Texte untersucht. So kam die Idee, „Hester“ aufzuführen. Das Stück wurde 1567 von Jos Murer, einem aus der Schweiz stammenden Hersteller von Holzschnitten, geschrieben. Dabei handelt es sich um die dramatische Bearbeitung des biblischen Buches Esther.

Wie lange dauert es, bis ein Schauspielaufgeführt werden kann?

Die Proben finden während des Semesters statt. In den ersten drei Wochen wird zunächst versucht, alle Mitwirkenden auf den gleichen Stand zu bringen, was ihre Vorkenntnisse, ihr Hintergrundwissen und das Textverständnis angeht. In der Regel gibt es dann drei Aufführungen. Manche finden auch zu besonderen Gelegenheiten statt, wie dem Leeds International Medieval Congress, der Société internationale pour l‘étude du théâtre médiéval, beim SNF in Lausanne oder an anderen europäischen Universitäten.

Wie oft und wann wird geübt?

Im Sommer wird ganz normal zu den jeweiligen Seminarzeiten geprobt. Gegen Ende, wenn die Aufführungen näher rücken oder man merkt, dass doch noch nicht alles ganz glatt läuft, werden auch mal ein paar Zusatztermine vereinbart. Da im Winter die Aufführung in der Weihnachtszeit stattfindet, und diese mitten im Semester liegt, sind die Termine bis zur Aufführung vierstündig. Mit den Inszenierungen endet dann auch die Arbeit. Wir treffen uns nur noch einmal in der Gruppe, um das Video der Aufführung zu sehen, und essen dabei Pizza. Das ist für alle auch noch mal ein schönes Erlebnis.

Woher bekommt ihr die ganzen Requisiten und Kostüme?

Wir kriegen viel vom Landestheater Marburg ausgeliehen. Manchmal auch vom Stadttheater Gießen, allerdings sind deren Kostüme eher modern. Einige der Beteiligten sind Teil von Reenactment-Gruppen. Sie inszenieren geschichtliche Ereignisse in möglichst authentischer Art und Weise und haben daher auch privat einige Sachen zu Hause. Der Rest wird von uns selbst genäht. Was die Requisiten angeht, nutzen wir viel die Dinge, die schon bei uns von vorherigen Aufführungen im Keller liegen. Einiges kann über Ebay dazugekauft werden und ansonsten wird der Rest auch hier selbst gemacht. Was das Bühnenbild angeht, habe ich aktuell Hiwis, die gerne und gut basteln und es für uns erstellt haben. Sollte dies mal nicht der Fall sein, muss das eben von Teilnehmenden übernommen werden.

Daniel Cramers „Plagium“ in der JLU-Aula 2007

Was muss zum Bestehen des Seminars geleistet werden?

Zu 50 Prozent zählt natürlich das Schauspiel auf der Bühne. Dabei kommt es mir vor allem darauf an, ob der oder die Mitwirkende die Rolle begriffen hat und wie sie vermittelt wird. Da auch eine schriftliche Leistung erfolgen muss, wird hierfür beispielsweise ein Text für das Programmheft verfasst, das Poster gestaltet, ein Zeitungsartikel geschrieben oder der Kostümplan erstellt. Das zählt zu 25 Prozent in die Note ein. Die letzten 25 Prozent bestehen dann aus der aktiven Beteiligung. Die Teilnehmenden sollen nicht nur die Zeit absitzen, sondern auch eigene Ideen mit reinbringen.

Gibt es Probleme damit, genügend Mitwirkende für dieses Seminar zu finden?

Vor Corona ja. Ein Mal hatte ich schon eine Aufführung geplant und alles offiziell veröffentlicht, musste dann aber alles wieder absagen, weil sich nicht genügend Studierende eingetragen hatten. Nach Corona gab es damit komischerweise keine Probleme mehr. Je nachdem, wie viele Leute mitmachen, kann es dann sein, dass jeder auch mal mehrere Rollen übernimmt. Oder es müssen welche gestrichen werden. Zur Not werden auch Leute gefragt, die keine Berührungspunkte mit dem Seminar haben, wie zum Beispiel WG-Mitbewohner der Studierenden.

Seit wann existiert das Seminar?
Die Hirtenszene des „Hessischen Weihnachtsspiels“ 1997 in Helsinki

Das erste Mal kam die Idee 1996/97 auf. Damals war ich Gastprofessorin für Germanistische Mediävistik an der Universität Helsinki und sollte einen Konversationskurs leiten. Um das Ganze ein wenig spannender zu gestalten, kam mir die Idee, ein Theaterstück daraus zu machen. Zur 400-jährigen Jubiläumsfeier der Universität Gießen im Jahr 2007 habe ich dann mit ein paar Studierenden erneut eine Aufführung geplant und umgesetzt. Seitdem ist dies ein Kurs, der von Studierenden belegt werden kann.

Was ist in Zukunft geplant?

Für das Wintersemester ist das „Luzerner Antichristspiel“ geplant. Wieder ein Drama aus der Schweiz. Das Original dauert zwei Tage – da werde ich noch etwas kürzen müssen. Ich muss immer im Vorhinein schon wissen, welches Stück als nächstes gespielt wird, da die ganze Öffentlichkeitsarbeit schon frühzeitig geleistet werden muss.

Im Anschluss noch eine Frage an Swantje Luhn, einem Mitglied der Theatergruppe.

Warum machst du in der Theatergruppe mit?

Ich mag einfach das Theaterspielen. Mir gefällt es, in eine andere Rolle reinzuschlüpfen und jemand anderen darzustellen. Es läuft alles ganz professionell ab, bei den Aufführungen ist die Presse da und wir werden für unsere Arbeit auch entlohnt. Das gibt einem das Gefühl, dass man wertgeschätzt wird. Zudem interessiere ich mich auch privat für mediävistische Inhalte. Ich bin jetzt mittlerweile auch schon zum dritten Mal dabei.