Von Lilli Weiskopf

Zugewanderte Personen begegnen in einem neuen Land oft vielen Herausforderungen. Eine davon ist häufig eine unbekannte Sprache. Vor allem Kinder und Jugendliche erlernen diese meist in der Schule. Doch wie genau läuft dieser ‚gesteuerte Erwerb‘ insbesondere im Deutschen ab? Und wie kann man den Lernprozess erleichtern?

Prof. Dr. Jana Gamper, Institut für Germanistik. Foto: JLU / Rolf K. Wegst

Mit diesen Fragen beschäftigt sich Prof. Jana Gamper. Seit Oktober 2019 ist sie Qualifikationsprofessorin für Deutsch als Zweitsprache (DaZ) mit dem Schwerpunkt „gesteuerter Zweitsprachenerwerb“ an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. 

Vereinfacht gesagt beschäftigen sich die Wissenschaftlerin und ihre Mitarbeitenden mit dem „Lernen einer neuen Sprache in der Schule“ und „wie man im Kontext von institutioneller Bildung lernt, die Grundlagen des Deutschen zu beherrschen“, erklärt Jana Gamper im Interview, das aufgrund der Corona-Pandemie telefonisch stattfand. Ein wichtiger Aspekt sei die Entwicklung von „diagnostischen Verfahren“ und Lehrprogrammen für Schulen. Da das Erlernen einer Zweitsprache „anders als der Erstsprachenerwerb“ ablaufe, kann man bereits bestehende Lehrpläne für das Fach Deutsch nicht auf DaZ-Klassen übertragen, sondern „braucht eigenständige Konzepte und ein Curriculum, an dem sich Pädagog*innen orientieren können“. Es reiche also nicht, nur zu erforschen, wie sich Schüler*innen verhalten, sondern man müsse es auch „zugunsten der Lernenden umdrehen und sich fragen: Wie kann man sie unterstützen?“ Um die schulischen Bedingungen zu optimieren, brauche man diagnostische Verfahren, die aussagekräftig zeigen: „Wo stehen die Lernenden? Wo sollen sie hin? Und wie bringe ich sie dahin?“ 

Beispiele für solche Verfahren sind Methoden wie die bereits von Forschungseinrichtungen entwickelte „LiSe-Daz“ (Linguistische Sprachstandserhebung – Deutsch als Zweitsprache), mit welcher der individuelle Sprachentwicklungsstand bei DaZ-Kindern ermittelt werden kann. Ein anderes Tool ist die Profilanalyse, mit der die Deutschkenntnisse von DaZ-Lernenden erfasst werden können. Weitere Methoden und Strategien zu entwickeln, so Jana Gamper, „ist ein großer Schwerpunkt an unserer Professur“. 

Besonders interessant sei für sie, „wie Spracherwerb funktioniert“ und was bei mehrsprachigen Personen „kognitiv abläuft“. Faszinierend sei, wie sich „verschiedene Sprachen einzeln und in Verbindung miteinander entwickeln“. Dabei ist Jana Gampers Interesse für Mehrsprachigkeit und Spracherwerb auch biographisch motiviert, da sie mit sieben Jahren aus Kasachstan nach Deutschland eingewandert ist – somit hat sie zuerst Russisch und dann Deutsch gelernt. Besonders wichtig sei ihr, dass „dem Thema Mehrsprachigkeit und Spracherwerb in Universitäten und Schulen eine größere Rolle zugestanden wird“. 

Mit der Rolle von Zweitsprachenerwerb in Bildungsinstitutionen beschäftigen sich auch mehrere Forschungsprojekte an der Germanistikprofessur. Dabei werden unter anderem sehr aktuelle Phänomene unter die Lupe genommen: Beispielsweise wird „coronabedingt“ erforscht, wie sich die Schulschließung während der Pandemie auf die Sprachentwicklung von immigrierten Personen ausgewirkt hat. Durch eine Online-Befragung von Lehrkräften werde erhoben, „wie und ob überhaupt Unterricht stattgefunden hat“. Da Neuzugewanderte nicht immer Computer besitzen und mit eingeschränkten Deutschkenntnissen zu rechnen sei, gab es „sowohl technisch als auch sprachlich enorme Unterstützungsbedarfe“, erläutert Jana Gamper. Dieses Vorhaben solle „beleuchten, ob und wie diese Gruppe überhaupt erreicht werden konnte“. 

Ein weiteres Forschungsprojekt untersucht die Entwicklung von Bildungssprache bei Neuzugewanderten, da diese ein „Register ist, das gelernt und vermittelt werden muss, weil es sich von der Alltagssprache unterscheidet“. Jana Gamper erklärt den Unterschied der beiden Ausdrucksweisen an folgenden Sätzen:

„Ich hab’ vorhin dieses Interview mit dem Ger.Magazin gemacht.“

„Das Interview mit dem Ger.Magazin wurde in kurzer Zeit durchgeführt.“

Das erste Beispiel ist alltagssprachlich – und in diesem Zusammenhang auch „völlig akzeptabel“. Dennoch würde man „ihn in einem schulischen Kontext, vor allem aufgeschrieben, weniger akzeptieren“. Die zweite Formulierung weist einen ganz anderen Satzbau auf: „Hier haben wir zum Beispiel ein Passiv und eine komplexe Nominalphrase“, beschreibt Jana Gamper. Bildungssprache enthalte „andere Strukturen, andere Wörter, andere Wendungen“. Das Erlernen dieser speziellen Ausdrucksweise sei „für alle eine Herausforderung“, für immigrierte Personen jedoch ganz besonders, da „sie in kürzerer Zeit erlernt werden soll“. Hier sei der mehrsprachige Bereich noch nicht gut untersucht. 

Jana Gampers Lehrveranstaltungen „Lernen in Vorbereitungsklassen“ oder „Sprachbildung für Neuzugewanderte“ aus dem vergangenen Semester beschäftigen sich mit Klassen eigens für immigrierte Schüler*innen, die in einem „Crashkurs auf den Regelunterricht vorbereiten“, aber auch mit Sprachbildungskonzepten für Erwachsene. Besonders relevant seien ihre Seminarthemen für alle Lehrämtler*innen. „Das heißt natürlich nicht, dass es für Bachelor-Studiengänge irrelevant wäre“, so die Wissenschaftlerin, „aber wichtig ist er vor allem für Lehramtsstudierende“. Für die Zukunft gebe es ein besonderes Vorhaben, das noch „ganz am Anfang“ stehe. Es beschäftige sich mit einem freiwilligen Online-Zertifikat in DaZ für Pädagog*innen. „Da Deutsch als Zweitsprache in der Lehrerausbildung an der JLU Gießen noch nicht so eine große Rolle spielt, möchten wir versuchen, das auf anderem Wege anzubieten“, erklärt die Professorin. Das Projekt sei aber jung und „eher noch in meinem Kopf“.