Die Theatergruppe der Germanistik posiert in character vor dem Höllentor. Foto von Hannah Brahm.

Von Dana Lissmann

„Freut euch, ihr Teufel, all!“, mit teuflischem Jubel beginnt das Stück, denn Satan startet seinen apokalyptischen Plan: Er schickt den Antichrist verkleidet als falscher Messias auf die Erde, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Rund 150 Gäste begrüßte die Theatergruppe des Instituts für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) gemeinsam mit dem Literarischen Zentrum Gießen (LZG) am 1. Dezember 2023 um 19 Uhr zur Premiere im Georg-Büchner-Saal. Darunter auch 35 Mitglieder des Philosophischen Fakultätentags, die extra ihre Tagung in Gießen auf das Wochenende der Aufführung gelegt hatten. Angeleitet von Professorin Cora Dietl (JLU) begeisterte das Ensemble an diesem Abend einmal wieder sein Publikum.  

Neid, Geiz und Unkeuchheit – diese Sünden bringen die Teufel dem Antichrist (v.l.n.r. Jasmin Gottschlich, Zeynep Adigüzel, Lea Göllner) näher, um ihn auf seine Mission vorzubereiten.
Foto von Hannah Brahm.

Verführt vom falschen Messias 

Bekanntlich kündigt die Adventszeit die Geburt Jesu Christi an. Weniger bekannt ist: Advent ist eine Bußzeit. Auch die Wiederkehr Jesu am Tag des Jüngsten Gerichts wird mitbedacht. Das wiederum bedeutet aber auch das Nahen des Antichrist. Im Johannesevangelium kommt dieser nämlich vor Christus auf die Erde, vollbringt mit teuflischen Kräften Wunder und gibt sich als Messias aus: Im diesjährigen Weihnachtsspiel war Zeynep Adigüzel in der Rolle als Antichrist zu sehen und verführte so mithilfe von Wundern und Geld Blinde, Könige und ganze Länder. Schwarz gekleidet und mit Zwingli-Hut zog sie mit ihren Versprechungen nicht nur ihre Jünger, sondern auch das Publikum in ihren Bann. Um diesen zu brechen, entsandte Karina Fischer – unverkennbar als Christus im rotweißen Gewand und den erhaben gestikulierenden Händen – ihren Erzengel Michael (Luca Merkle) zu dem Propheten Elias (Fynn Marschinke). Der predigte eindringlich gegen die Taten des Antichrist, mit dem er sich bald darauf einen verbalen Schlagabttausch lieferte. Das endete brutal, als eine Meute Gläubiger den Propheten erstach – der Anfang vom Ende für den Antichrist. Denn Gott ließ seinen Diener wiederauferstehen, weshalb die Menschen anfingen, am falschen Messias zu zweifeln…  

Spiel mit dem Publikum 

Während der Vorstellung nutzten die Darsteller nicht nur den Bühnenraum voll aus, um gleichzeitige Handlungen im Himmel und auf Erden zu zeigen, sondern interagierten auch mit den Zuschauern: Wiederholt bestachen Jünger des Antichrist die Gäste mit Goldtalern, die sie in die Menge warfen. Als Prophet Elias sich dem Antichrist und seinem Gefolge entgegenstellte, bahnte er sich einen Weg durch die Zuschauer. Auch zum Mitsingen wurde das Publikum eingeladen, als das abgewandelte, neuzeitliche Weihnachts-Gloria Hört der Engel helle Lieder zur ersten Himmelsszene mit Christus überleitete.  

Bletz´ Originalwerk 

Das Stück selbst, so Cora Dietl in ihrer Begrüßungsrede, stammt aus dem 16. Jahrhundert und wurde auf der Luzerner Weinmarktbühne für das Osterspiel 1549 uraufgeführt. Zacharias Bletz, der dort die Theaterleitung innehatte, führte nicht nur die Apokalypse in das christliche Programm ein, sondern ließ das sechszehnstündige Schauspiel über zwei Tage lang performen. Als das Publikum daraufhin in Gelächter ausbrach, versicherte Dietl, sie habe, mithilfe der Theatergruppe, das Stück auf eine Stunde runtergekürzt. Politisch habe Bletz mit dem Schauspiel auf die konfessionellen Auseinandersetzungen in der damaligen Schweiz reagiert. So spielt die Figur des Antichrist mit ihrer Kleidung und Verwendung der Lutherübersetzung auf die Reformation und Zwingli an. Das Stück wurde am 2. Dezember noch einmal in der Grünberger Hospitalkirche aufgeführt. Am 13. Januar 2024 wird das Ensemble nach Karlsruhe reisen, um es dort an der Universität im Rahmen des Kolloquiums BaGiCheKa – eines interdisziplinären mediävistischen Nachwuchskolloquiums der Universitäten Bamberg, Gießen, Chemnitz und Karlsruhe ein letztes Mal zu inszenieren.