Angesichts des Lehrer*innenmangels greifen viele Schulen auf Studierende als Vertretungskräfte zurück. Diese sammeln dabei zwar Erfahrungen, sind allerdings oft auf sich allein gestellt. Quelle: https://unsplash.com/de/fotos/man-and-woman-sitting-on-chairs-zFSo6bnZJTw, Foto: Kenny Eliason

Von Vivien Müller

An hessischen Schulen begegnet man immer häufiger Lehramtsstudierenden, die als „VSS-Kräfte“ tätig sind. VSS steht für ,,Verlässliche Schule“. Die Studierenden arbeiten auf Abruf, sind jedoch noch keine fertig ausgebildeten Lehrkräfte. Hauptsächlich soll der Unterricht gewährleistet sein, um möglichen Ausfällen entgegenzuwirken. Laut Homepage der Hessischen Schulämter wird so ,,den Schülerinnen und Schülern […] ermöglicht, die ausgefallene Unterrichtsstunde sinnvoll zu nutzen, auch wenn keine andere Lehrkraft der Schule für die Vertretung zur Verfügung steht.“ 

Voraussetzung für eine Beschäftigung als VSS ist vor allem der angemessene Umgang mit den Schüler*innen. Zumeist wird dann das Studienfach in den Vertretungsstunden unterrichtet. Das Fachwissen ist jedoch bei vielen VSS-Kräften je nach Semester nur teilweise vorhanden. Durch einige Wochen Praktikum können didaktische und fachliche Kompetenzen noch nicht ausreichend ausgebildet werden. Angeworben werden Studierende zum Beispiel über Ausschreibungen der Schule. Außerdem werden häufig vorherige Praktikant*innen zum Weiterarbeiten angeregt.

Doch wie bewerten die VSS-Kräfte ihre Lehrtätigkeit? Laura N. arbeitet an einer Förderschule. Sie berichtet, dass sie immer wieder in anderen Klassen arbeite. ,,Es ist schwierig, Unterricht zu planen und zu halten, wenn man die Klasse gar nicht oder nur kaum kennt.“ Kurzfristige Anrufe am Morgen zwingen sie oft dazu, ihren Tag umzustrukturieren und doch bei der Arbeit einzuspringen. ,,Ich kann keinen Unterricht innerhalb von wenigen Minuten planen.“ So berichtet sie davon, dass sie oft ganz unvorbereitet in eine Klasse komme. Doch betont sie auch die Nützlichkeit dieser Tätigkeit in Bezug zum Studium. Mit etwas Vorlaufzeit könne man eben selbst eine Unterrichtsstunde planen. Teilweise würden die zu vertretenden Lehrkräfte einen auch über das Unterrichtsgeschehen und den Lernstand der Schüler*innen informieren. ,,Diese Praxiserfahrungen kann man im Studium so nicht direkt machen, außer eben im Praktikum. Man schlüpft richtig in die Position einer Lehrkraft und hat in diesem Moment auch die volle Verantwortung für die Klasse.“

Anna K. ist ebenfalls als VSS-Kraft an einer Förderschule tätig. Sie meint, dass ihr erst durch diese Tätigkeit bewusst geworden sei, wie wenig Didaktik im Studium für Förderschullehramt in Bezug auf das Fach gelehrt wird. Zu Beginn ihrer Tätigkeit habe sie sich alles allein beigebracht. ,,Bevor ich mit der Arbeit begann, hatte ich einige Stunden hospitiert und den Lehrkräften beim Unterricht zugeschaut.“ Hierdurch habe sie viele Anregungen mitnehmen und in ihren eigenen Unterricht einbringen können. Für den Deutschunterricht habe sie immer einige Arbeitsblätter dabei. Hier nutze sie beispielsweise Kreuzworträtsel oder Grammatikübungen. ,,Doch wenn ich wirklich gar keine Ahnung habe, dann spielen wir Spiele oder die Kinder können etwas malen. Häufig bringe ich auch etwas zum Basteln mit.“ Der Fokus liege auch eher auf der Betreuung der Schüler*innen als auf dem qualitativen Unterricht. ,,Ich glaube, dass von uns Student*innen gar nicht erwartet wird, dass wir da einen perfekten Unterricht vorbereiten und halten. Die Hauptsache ist, dass der Unterricht eben nicht ausfällt und die Schüler*innen beschäftigt sind.“

Auch Tobias K. hat nach seinem Praktikum begonnen als VSS-Kraft an einer Grundschule zu arbeiten. Im Praktikum konnte er eine Klasse schon intensiv kennenlernen und diese selbst regelmäßig im Fach Deutsch unterrichten. Jedoch stand ihm in dieser Zeit immer eine Fachlehrerin zur Seite, die ihm Anregungen und Tipps gab. Im Vertretungsunterricht besteht auch für ihn die Schwierigkeit, schnell Unterricht für eine Klasse vorzubereiten, die man zuvor nur ein paar Mal gesehen hat und gar nicht richtig kennt. ,,In der Uni haben wir oft die Aufgabe, für fiktive Klassen eine Unterrichtsstunde vorzubereiten. Dann bekommen wir aber auch viele Informationen zur Verfügung gestellt über den aktuellen Lernstand der Klasse oder eben über den Inhalt, den wir in dieser Unterrichtsstunde behandeln sollen.“ Wenn er im Vorhinein keine Informationen von den zuständigen Lehrkräften erhält, würde er mit der Klasse auf den Hof gehen und Spiele spielen oder eine Spielzeit einführen. ,,Manchmal ist es wirklich unbefriedigend, wenn ich nichts Nützliches mit der Klasse machen kann. Ich würde gerne einen produktiven Unterricht vorbereiten und halten, aber da fehlt es mir an Wissen und teilweise auch am Können. Es ist schon sehr unbefriedigend, wenn man unbedingt Lehrer werden möchte und dann eben nur Spiele oder sowas mit der Klasse machen kann.“ Doch wurde ihm, wie auch den anderen VSS-Kräften, von der jeweiligen Schulleitung gesagt, dass kein qualitativ hochwertiger Unterricht von den Studierenden erwartet werde.

Generell herrscht die Auffassung, dass diese Tätigkeit neben dem Studium ausgeführt werden soll. Planung von Unterricht nimmt viel Zeit in Anspruch. Diese extra Stunden werden nicht bezahlt, anders als im späteren Lehrberuf. Doch ergibt sich die Frage, ob über das Einsetzen von externen Kräften in Form von Lehramtsstudierenden der Mangel von schulinternen Lehrkräften behoben werden kann.