Von Cora Appelbaum, Max Till Lachmann und Kyra Maria Wagner
Das Treffen für die Deutschlernenden aus der Ukraine beginnt um 16:30 Uhr in der Evangelischen Freikirchlichen Gemeinde Bad Homburg. Normalerweise kommen hier um die acht Teilnehmer zusammen, doch dieses Mal ist der Raum brechend voll – überraschenderweise sind heute um die 15 neue Besucher aufgetaucht, die sich den Deutschtreff ansehen wollen. Die Kursleiterinnen und die Dolmetscherin reagieren flexibel. Während die Neuankömmlinge der Dolmetscherin zugeteilt werden, um sich austauschen und vorstellen zu können, fokussieren sich die Lehrkräfte auf die Teilnehmer, die regelmäßig erscheinen. Wichtig ist hierbei, dass es sich nicht um einen allgemeinen Integrationskurs, sondern ein freiwilliges Treffen handelt, das wie viele andere von ehrenamtlichen Helfern eröffnet und genutzt wird.
Bei einem allgemeinen Integrationskurs in Deutschland handelt es sich um einen vom BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) organisierten Kurs, der aus Orientierungs- und Sprachkurs besteht, und die Teilnehmer innerhalb eines bestimmten Zeitraums auf eine Abschlussprüfung des Niveaus B1 vorbereiten soll. Für genauere Informationen: BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Integrationskurse |
Frau G und Frau I sind ehemalige Deutschlehrerinnen, die den Deutschtreff eröffnet haben, um ukrainische Flüchtlinge mit ihrem Wissen beim Deutschlernen zu unterstützen. Ihnen kommt es vor allem darauf an, das in Sprach- und Integrationskursen erlernte Wissen zu vertiefen und Alltagsbezüge herzustellen. “Wir brauchen nur das Präsens und das Perfekt, um uns im Alltag verständigen zu können”, nennt Frau I als Beispiel. Auch die Themenwahl bezieht sich auf den Alltag. Der Fokus liegt auf Einkäufen, Arztbesuchen, Haushalt, Mobilität und Bildungseinrichtungen. Die Betreuerinnen bereiten jede Woche neue Aufgaben vor, die an den Bedarf der Teilnehmer angepasst werden. Neben der Aufgabenbearbeitung besteht die Möglichkeit, sich bei Formularen, E-Mails und ähnlichem helfen zu lassen. Es stellt sich jedoch die Frage, was dieses Treffen attraktiv genug macht, um regelmäßig Besucher anzulocken. “Ich möchte mit Muttersprachlern reden”, sagt eine der Teilnehmerinnen, die seit drei Monaten Deutsch lernt. Außerhalb ihres Integrationskurses bestünden kaum Möglichkeiten für sie, mit der Sprache in Berührung zu kommen. Der Wunsch nach Kontakt zu Muttersprachlern zeigt sich auch in einer Teilnehmerbefragung des BAMF aus dem Jahre 2006. Der Befund zu den Erwartungen der Lernenden ergibt, dass die drei am häufigsten genannten Pläne folgendermaßen lauten: weitere Spracherkenntnisse zu erwerben, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden und Kontakte mit Deutschen zu knüpfen. Auch das Interesse an Alltagsthemen wird festgehalten. Etwa 70% der Befragten gaben Alltag/Kontakte als Wunschthema an. Neben diesem sozialen Aspekt scheint auch das Lerntempo eine wichtige Rolle zu spielen. “Wir haben den Vorteil, auf die Bedürfnisse der Besucher einzugehen und Inhalte beliebig zu wiederholen”, meint Frau I. In Sprachkursen sei das aus zeitlichen Gründen nicht möglich. Außerhalb der Sprachkurse gibt es diesen Zeitdruck nicht. Nachdem sich die Teilnehmer etwa eine Stunde lang mit dem Material beschäftigt haben, gibt es eine Kaffeepause. In dieser Zeit unterhalten sie sich frei – so weit wie möglich auf Deutsch. Allgemein wirkt die Atmosphäre familiär, nicht zuletzt wegen des Betreuungsangebots für die Kinder. “Frau O ist schon von Anfang an dabei. Es macht ihr großen Spaß, die Sprache zu lernen”, erzählt Frau I. Sie sei bereits 60 Jahre alt und hochmotiviert. Der Faktor Motivation und Zufriedenheit spielt für den Spracherwerb eine wichtige Rolle. In einer Datenanalyse von Scheible (Soziologin und Sozialforscherin) und Rother (Psychologin) aus dem Jahre 2017 wurden individuelle Lernvariablen gemessen. Dabei stellte sich heraus, dass “Spaß am Kurs” einen großen Einfluss auf den Spracherwerb hat.
Spracherwerb sei damit nicht nur vom Lernen innerhalb eines organisierten Kurses, sondern von viel mehr Faktoren abhängig, darunter das soziale Miteinander, Spaß am Lernen und Alltagsnähe. Plutzar (Professorin an der Universität Wien) formuliert es folgendermaßen: „Der Erwerb der Landessprache stellt so gesehen nicht die Voraussetzung, sondern vielmehr das Ergebnis der erfolgreichen Teilnahme […] dar. Diese Annahme begründet sich u.a. in der sprachdidaktischen Binsenweisheit, dass man Sprachen nur durch Sprechen lernt“. Ein Integrationskurs sei damit für den Spracherwerb wichtig, aber nicht ausreichend. Freiwillige Angebote bieten die Möglichkeit, diese Lücken zu füllen. Wie sich diese Situation zukünftig entwickeln wird, ist nicht abzusehen, es bleibt jedoch: Es besteht Bedarf an Treffen jenseits der Sprachkurse, in denen sich die Menschen austauschen können.