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Von Lara Moon Stoller

Ein höhnisches Echo?

„Sagen Sie mal, spüren Sie denn überhaupt keinen GENERATIONSKONFLIKT??! Wieso springt denn nicht in dem Stück der Dämon Ihrer Generation auf den Dämon meiner Generation und beißt sich in deren Widersprüchen fest?“, schreit ein gealterter Dramaturg einen jungen Autoren an. Moritz Rinkes Erzählung „Der Blauwal im Kirschgarten“ handelt von einem aufstrebenden Theaterautoren, der einen etablierten „Chefdramaturgen“ aufsucht. Er versucht, diesen von seiner Arbeit zu überzeugen. „Klagt Ihr Stück denn etwas an?“, fragt der Dramaturg den verunsicherten Autoren. Er selbst hatte „um 1968 herum (…) das Theater und die Gesellschaft von ihrer hierarchischen und verfetteten Struktur“ befreien wollen. Doch nun sitzt der Revolutionär von damals in Cordhose im perfekt gestutzten Garten. Er isst Knäckebrot mit Marmelade, während er von der Revolution der Gesellschaft redet.

Solche Auseinandersetzungen mit der „Generation 68“ finden sich in einigen Werken Moritz Rinkes wieder. Dieser„Künstlertypus“ begleitete den Autoren und Dramatiker seit seiner Kindheit. 1967 wurde Rinke in der Künstlerkolonie Worpswede geboren. So erlebte er die absurden und faszinierenden Seiten der „Künstlergeneration“ seiner Eltern. Auch wenn, wie Rinke im „Tagesspiegel“ (18.04.2018) schrieb, man „mit der 68er-Bewegung (…) in Norddeutschland, wie mit dem meisten, etwas verspätet dran“ war, hat er einiges aus dieser Zeit zu erzählen. „Also Weihnachtsbäume wurden nicht gerodet, stattdessen stand dann da die Frau splitternackt als Weihnachtsbaum mit Kerzen behangen und die Kinder kamen einfach mit“, erzählte Rinke im Interview bei der Talkshow „Weser-Strand“ (08.12.2018). Auch hätte er gedacht, Kommunisten und Komponisten – das sei das Gleiche. Seine eigenen Eltern zählt der Dramatiker nicht zu den „Revolutionären“, doch die Hälfte der Einwohner Worpswedes seien „68er“ gewesen. Der Künstlerkolonie entfloh Moritz Rinke schließlich, indem er in Gießen Theaterwissenschaften studierte. Nach dem Studium begann Rinke, eigene Dramen zu schreiben. In seinen Werken feuert der Autor immer wieder mit feinem Spott gegen die „Revolutionäre“ der 60er Jahre. Er zeigt gern die Widersprüche zwischen Handlung und Absicht der „alten 68er“ auf. Wie bei dem bereits erwähnten „Chefdramaturgen“, der davon spricht, ein Theaterstück müsse immer auch die Gesellschaft anklagen. Doch dieser sitzt stattdessen (siehe oben) im Rosengarten und fährt „einen bordeauxroten Volvo-Kombi“. Dass eine Generation, die einen politischen Wandel gefordert habe, „wie ihn eben 68 eingeklagt hat“ heute ein derartig bürgerliches Leben ausgebildet hätte, könne er nicht verstehen, wieRinke im Interview mit „rbb“ auf dem Theatertreffen in Berlin 2007 sagte. Um zu zeigen, wie sehr sie ihr Ziel einer neuen Gesellschaft verfehlt hätten, erzählt Rinke oft die Anekdote über die Kinder, die mit ihm in Worpswede aufwuchsen. So zum Beispiel auch im „Tagesspiegel“: „Es gab in meinem Spielkameraden-Kreis später eine auffallende Fluchtbewegung in recht bürgerliche Existenzen: Banker, Autoindustrie, Versicherungsbranche.“ Dies sei „wie ein höhnisches Echo auf die sogenannte Befreiung ihrer Elterngeneration.“

Dieses „höhnische Echo“ scheint auch in Rinkes Stücken durch. Das Theater der 1968er Jahre war seinerzeitrevolutionär. Man verabschiedete sich von Texten, teilweise ganz von der Sprache. „Happenings“ und „Performances“ sollten das Publikum aufrütteln und zum Nachdenken anregen. Das Theater musste die Gesellschaft anklagen, nicht eine rührende Geschichte erzählen. „Ich glaube das ist eine Fehlentwicklung. Ich glaube, Menschen wollen im Theater wirklich Geschichten und Schauspieler sehen“, fasste Moritz Rinke seine Kritik an dieser Form des Theaters im Gespräch beim „Weser-Strand“ zusammen. Hatte der Chefdramaturg aus Rinkes Erzählung selbst noch die Spielpläne der Theater revolutionieren wollen, so ist es nun an Rinke, diese Strukturen zu hinterfragen. „Eigentlich wollte ich mal was ohne die Zustände, nur eine Geschichte von einer Frau erzählen…“, ist die Antwort desfiktiven Autors in der Erzählung „Blauwal im Kirschgarten“ auf die Frage, was sein Stück „bezwecken“ soll. Diese Aussage könnte so von Rinke selbst stammen. Oft verschwimmen die Grenzen zwischen seiner Stimme und der seiner Figuren. Auch Moritz Rinke erzählt gerne „nur“ Geschichten. Zu sagen, seine Stücke seien unpolitisch, wäre jedoch zu kurz gegriffen. „Rinke verlässt den großen gesellschaftlichen Diskurs, um ihn in der kleinsten sozialen Einheit aufzusuchen: dem Paar“, schrieb John von Düffel im Vorwort zu Rinkes Stück „Café Umberto“ (2005). Das Stück spielthauptsächlich im Vorraum eines Arbeitsamtes und begleitet drei arbeitslose Paare. „Politik muss nicht immer als großes Fanal und sichtbar daher kommen… Sie ist auch im sozialen Leben der Menschen, das ist natürlich auch politisch“, beschrieb Rinke die politische Dimension seiner Werke im „rbb“ auf dem Theatertreffen in Berlin 2007. 

Überspitzt könnte man sagen: Wie seine Kindheitsfreunde schlägt auch Rinke den Weg in eine „Anti-68er“ Karriere ein. Bei ihm findet man keine „Happenings“. Er lässt seine Schauspieler*innen Geschichten spielen und setzt nicht darauf, das Publikum durch die Inszenierung zu schockieren. Eine gesellschaftskritische Ebene schwingt dennoch mit – gerade in der Auseinandersetzung mit den „Revolutionären“, die auch Moritz Rinkes Leben geprägt haben. In seinen Inszenierungen und Beschreibungen dieser Generation zeigt sich vor allem ein Talent des Dramatikers. Wie Ulrich Kuhon in einer Arte-Reportage über den Autor feststellte, sei Moritz Rinkevor allem eines: ein „glänzender Beobachter“.