Von Chiara Otto

Es ist ein kalter Mittwochnachmittag im Büro von Herrn Professor Joachim Jacob. Er kocht eine Kanne Tee für uns. Der Anlass meines Besuches ist eine Frage, die sich bestimmt viele Studierende bereits gestellt haben: „Wie wird man eigentlich Hochschulprofessor?“ Dass eine solche Karriere nicht ohne die Worte „Promotion“ und „Habilitation“ auskommt, ist selbstverständlich. Aber was gehört noch dazu?

Seit 2009 ist Jacob Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Der Weg seiner wissenschaftlichen Karriere begann 1985 in Heidelberg. Dort studierte er Germanistik, Philosophie und Politische Wissenschaften. Die Wahl seiner Studienfächer habe sich „eher so ergeben“. Ließen sich damals bereits erste Pläne einer Karriere in der Wissenschaft erkennen? Dies verneint Jacob: „Ich war Lichtjahre davon entfernt. Es war absurd und utopisch, bereits zu dieser Zeit an eine wissenschaftliche Karriere oder gar eine Tätigkeit als Hochschulprofessor zu denken.“ Er beschreibt seine Studienzeit im Vergleich zu den heutigen Bedingungen als gänzlich anders: „In den letzten 40 Jahren hat sich die Institution Universität stark gewandelt. Damals gab es kaum berufliche Perspektiven, jedenfalls schien es so, selbst wenn man das Germanistikstudium mit Bestnoten abschloss.“ 

Auch heute scheint die akademische Situation schwierig zu sein. „Eigentlich plant man eine wissenschaftliche Karriere nicht, weil das von so vielen Zufallsfaktoren abhängig ist“, verrät Jacob und verweist dabei auf den Essay „Wissenschaft als Beruf“ des berühmten Soziologen Max Weber aus den 1920er Jahren. In diesem bezeichnete der Autor eine Karriere in der Wissenschaft als „hazard“, also als „wilden Zufall“. Daran scheint sich innerhalb der letzten 100 Jahre wohl nicht allzu viel geändert zu haben.

In Jacobs Fall haben sich all diese Faktoren jedoch im Sinne des Erfolges zusammengefügt. Als „Schlüsselmoment“ beschreibt er seinen Gefühlszustand, nachdem er seine Magisterarbeit (vergleichbar mit der heutigen Masterarbeit) eingereicht habe. In dieser beschäftigte er sich mit Friedrich Gottlieb Klopstock, einem der zentralen Autoren der Aufklärung. Wenige Tage nach der Abgabe stellte Jacob fest, dass er trotz der intensiven textuellen Auseinandersetzung nicht den Spaß daran verloren hatte, in Klopstocks Werken weiterzulesen. Diese Erkenntnis führte ihn schließlich dazu, sich für ein Promotionsstipendium beim Evangelischen Studienwerk Villigst zu bewerben. Dort besaß er bereits zu Studienzeiten ein Stipendium. Nach Abschluss seiner Promotion hielt die Freude an der wissenschaftlichen Arbeit weiterhin an. Als sein Förderer, Professor Norbert Altenhofer, überraschend verstarb, bewarb Jacob sich nach der Doktorarbeit zunächst in außeruniversitären Feldern. Ohne seinen Mentor fehlte ihm ein gewisses wissenschaftliches Netzwerk.

Jedoch ergaben sich bessere Möglichkeiten als zuvor angenommen. Es folgten verschiedene Vertretungsstellen als Wissenschaftlicher Angestellter, die ihm einen Verbleib in der Wissenschaft ermöglichten. „Da ist ganz viel Förderung und Ermutigung von Anderen im Spiel, die man selbst überhaupt nicht in der Hand hat“, reflektiert er im Gespräch. So fand Jacob auch nach Gießen, wo er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Professor Gerhard Kurz tätig war und auch dort habilitierte. Nach einer Stelle als Vertretungsprofessor in Braunschweig und einer Professur in Augsburg kehrte er als Nachfolger von Kurz an die JLU zurück.

Doch wie kommt man als Wissenschaftler eigentlich an seine Forschungsschwerpunkte? Ergeben sich diese alle erst im Laufe der wissenschaftlichen Karriere oder gehen manche von ihnen vielleicht noch auf die eigene Studienzeit zurück? „Ich habe mich als Forscher schon immer eher für vergangene Literatur interessiert, das war schon seit meiner Studienzeit so“, verrät Jacob. „In meiner Professorentätigkeit vertrete ich unter anderem die Neuere Deutsche Literatur. Dadurch ergibt sich natürlich eine freie und reichliche Wahl an Forschungsinteressen, da sie all jene Literatur umfasst, die in den letzten rund 500 Jahren produziert worden ist.“ So liegt einer seiner Schwerpunkte beispielsweise in der Epoche der Aufklärung. Insbesondere interessiert ihn nach wie vor Klopstock. Auch das wissenschaftliche Interesse am Verhältnis zwischen Literatur und Religion begleitet Jacob schon seit seiner Studienzeit bei Altenhofer.

Es gibt auch Themen, die sich erst im Laufe seiner Karriere zu Forschungsinteressen entwickelt haben. Ein Beispiel ist die Antike und ihre Rezeption. Die Auseinandersetzung mit diesem Gebiet ergab sich während seiner Doktorarbeit. „Den Lateinunterricht an dem altsprachlichen Gymnasium, das ich besuchte, habe ich als altmodisch empfunden. Das war ‚Grammatik und Krieg‘, wie es einmal jemand formuliert hat. Aber im Rahmen meiner Promotion kam ich nicht darum herum, mich mit der lateinischen Sprache auseinanderzusetzen, da sie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch als Wissenschaftssprache galt.“

Bei den Studierenden ist Jacob bekannt für seine Lyrikseminare. Insbesondere an der Vermittlung lyrischer Texte findet er großen Gefallen und sieht in ihnen viel Potenzial: „Was man alles mit Sprache anstellen kann, ist in der Lyrik in konzentriertester Form wie in einem Sirup vorhanden.“ Diese Tatsache ermögliche es ihm, Studierenden das oft vorhandene Unbehagen der lyrischen Gattung gegenüber zu nehmen. Die Komprimiertheit der Texte lädt seiner Meinung nach zu produktiven Diskussionen über den gesamten Text ein. Die Beschäftigung mit Gedichten ermögliche es außerdem, die „Praxis des langsamen Lesens“ zu erlernen und anzuwenden. Darunter versteht er das mehrfache und genaue Lesen eines literarischen Textes, um diesen adäquat interpretieren zu können. Schon in der Vorlesung „Einführung in das Studiengebiet Literatur“ legt er viel Wert darauf, den Studierenden diese Technik zu vermitteln.

„Am meisten begeistert mich an meinem Beruf, dass ich meiner Neugier hemmungslos folgen kann. Denn jeden Tag darf ich immer etwas Neues lernen.“ Den Arbeitsort der Universität schätze er insofern, als dass er einen Raum schaffe, in dem Interaktionen zwischen ihm und jungen Menschen betrieben werden, die ein ähnliches Interesse für die deutsche Sprache und Literatur mitbringen. Aus dieser Wertschätzung für die Tätigkeiten, die sein Beruf als Hochschulprofessor ermögliche, könne er auch nachvollziehen, dass Studierende der heutigen Zeit eine gewisse Faszination für diesen wissenschaftlichen Weg entwickeln. „Ich halte es nicht für vermessen, einen Traum oder ein Ziel beziehungsweise einen Wunsch zu haben, das ist legitim und sehr schön. Vermessen ist es allerdings, davon auszugehen, dass es gelingen wird.“ Deshalb rät Jacob dazu, stets auch Alternativen bereit zu halten, denn eine wissenschaftliche Karriere lasse sich nicht ausschließlich an der Universität finden.

Am Ende unseres Gespräches bleibt mir neben der eben zitierten Aussage noch eine weitere im Gedächtnis: „Man sollte sich immer bewusst sein, warum man eigentlich tut, was man gerade tut. Das heißt auch: Die Freude und das Interesse an der Literatur in sich selbst wachhalten.“