Von Alice Petra Volpe
Die Gießener Pankratiuskapelle erstrahlt in hellem Licht an diesem Montagabend, dem 12. Dezember 2022. Menschen strömen herein, um eine Neuinszenierung des „Dreikönigsspiels“ zu sehen und durch eingebaute Liedtexte sogar ein Teil des Stücks zu werden. Zwischen dem Altar und allzu vertrautem Geruch der Kirche spielen Studierende der Justus-Liebig-Universität kurz vor Weihnachten an drei Terminen in Gießen, Grünberg und Bamberg Weise, Gelehrte und ebenso einen König, der nach Macht strebt. Nur mit wenig Requisiten und zum Teil selbst angefertigten Kostümen erzählt die Gruppe die bekannteste Geschichte der Welt aus einer anderen Perspektive: die Geburt des Jesuskindes.
Ein Dichter aus de Frühen Neuzeit
„Nun schweiget still, macht‘s Maul zu, Leut! Ihr spürt sonst meinen Kolben heut“, ruft plötzlich ein Narr mit lustiger Mütze und bunter Pluderhose in die Menge. Hinter ihm ragt ein Holzkreuz in die Höhe, der Altar ist weiß eingedeckt. „Wir wollen ein kurzes Spiel erzählen und uns hier schnell mal vorstellen“, spricht der Mann und schreitet durch den Gang. Das Getuschel im Publikum ebbt ab, die Schauspieler*innen betreten nacheinander die Bühne.
Um die „Heiligen Drei Könige“ soll es gehen, Gestalten aus der Bibel, interpretiert nach Hanns Wagner: einem Schweizer Dramatiker aus der Frühen Neuzeit, auch Johannes Carpentarius genannt. Dessen Dreikönigsspiel entstand als Schulaufführung und feierte im Februar 1561 in Solothurn seine Premiere. In einem Begleitheft erklärt die Theatergruppe rund um Prof. Dr. Cora Dietl, man könne das Schauspiel in das Genre der „Fastnachtsspiele“ einordnen, denn diese stellen gesellschaftliche Probleme in den Mittelpunkt; im Solothurner Dreikönigsspiel ist die Machtbesessenheit des Königs Herodes eine ebensolche gesellschaftliche Problematik.
Alt und doch Modern
Mit mittelalterlich erscheinenden Kostümierungen, Trompetenklängen und Orgelmusik erblicken die drei Weisen aus dem Morgenland Caspar, Melchior und Balthasar einen neuen Stern am Himmel, der auf die Geburt des Messias hinweisen könnte. König Herodes allerdings fürchtet um seine Macht, nachdem er Kenntnis von diesem Ereignis erlangt hat. Nun ist es sein größtes Bestreben, jenes Kind zu töten, welches der Sohn Gottes sein soll: Jesus. Allerdings gibt er seinen Plan nicht preis, allein der Narr weiß am Ende des Stücks von den Anschlagsplänen des Königs. Seinen Gelehrten und Beratern erklärt Herodes zuvor, er wolle dem Kind huldigen.
Anders als erwartet, sprechen die namensgebenden Charaktere des Stücks, die drei Weisen aus dem Morgenland, während des Spiels den wenigsten Text: Nur in der ersten Szene treten sie auf, um die Entdeckung des neuen Sterns zu bekunden. Zwischen den einzelnen Akten sind Kirchenlieder eingebaut; das gesamte Publikum ist eingeladen, diese Lobpreisungen mitzusingen. In dieser Inszenierung ist dies zentral. Damit entsteht nicht nur Gottesdienst-Atmosphäre, sondern die Besucher*innen werden in das Geschehen einbezogen. Der Gesang verbindet Jung und Alt, ein Miteinander wird geschaffen.
Die Dichtung Wagners ist außerordentlich kurz, bloß eine knappe Stunde spielen die Studierenden der Germanistik, wobei die Bündigkeit weder die schauspielerische Leistung noch die inhaltliche Stimmigkeit mindert. Mit einem offenen Ende; denn, ob Herodes der Kindesmord gelingt, wird weder im Original noch in der Neuinszenierung deutlich.
Mit viel Mühe gestaltet das studentische Ensemble eine Auseinandersetzung mit Wagners erster Version der Geschichte – und die Arbeit zahlt sich aus, denn tosenden Applaus bekommt die kleine Gruppe am Ende des Stücks. Der Erzähler, der Narr, schließt das Stück mit warmen Worten an das Publikum: „Drum liebe Leut, habt es für gut und sei hiermit gestellt in Gottes Hut.“