Von Natalie Rempel

Was ist das Freie Deutsche Hochstift? Was machen ein Archiv und ein Museum? Wie werden Texte dokumentiert und rekonstruiert? Diesen Fragen widmete sich Professor Wolfgang Bunzel am 30. November 2023 in seinem Vortrag. Der Leiter der Abteilung Romantik-Forschung im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main stellte seine Institution und deren Forschungsprojekte in der Vorlesung „Literatur in institutionellen Kontexten“ von Professor Uwe Wirth vor.

Das Hochstift ist eine der bedeutendsten Kulturinstitutionen, die sich auf das 18. und 19. Jahrhundert spezialisiert hat. Zu ihm gehören das Goethe-Haus, das Romantik-Museum und das Archiv. „Der Anfang von allem war das Goethe-Haus“, erzählte Bunzel über die Geschichte des Freien Deutschen Hochstifts. Es gebe zwei Goethe-Häuser: Eins in Frankfurt, wo er geboren wurde und aufgewachsen sei, und eins in Weimar, wo der Dichter ab 1775 lebte. Das Gebäude in Frankfurt habe allerdings für eine längere Zeit die „wichtigste Rolle“ innegehabt, betonte Bunzel. Nicht nur, weil Goethe hier geboren wurde, sondern auch „aufgewachsen ist“ und „einen Großteil seiner Frühwerke, unter anderem den Werther“ in Frankfurt schrieb. Mitte des 19. Jahrhunderts habe sich dieses Haus in keinem guten Zustand befunden. 1859 gründeten daher 56 Bürger den Verein „Freies Deutsches Hochstift“, um unter anderem das Andenken an Goethe zu bewahren. 1863 wurde das Goethe-Haus von dem Verein erworben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Als in Weimar allerdings 1889 ein Literaturarchiv zu Goethe und Schiller eröffnet wurde, benötigte Frankfurt etwas Besonderes, um der Konkurrenz standzuhalten. Deswegen habe man sich entschieden, alle Nachlässe der Romantik zu sammeln – als Alleinstellungsmerkmal.

Doch wie kam dieser Bürgerverein in den Besitz der Nachlässe? Die Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren habe dazu wesentlich beigetragen, erklärte Bunzel. Viele Personen seien in Geldnot geraten, auch Nachkommen von Dichter*innen. Sie mussten sich von ihrem „Familiensilber“ trennen, also von Briefen, Tagebüchern und Notizen der verstorbenen Schriftsteller*innen. Diese seien dann versteigert worden. Bei diesen Auktionen sei das Frankfurter Hochstift in den Besitz seines Archivmaterials gekommen. Es habe dabei vor allem Dokumente von Achim und Bettina von Arnim, Clemens Brentano und Joseph von Eichendorff erhalten. So sei die Idee eines Romantik-Archivs und -Museums entstanden, zu einer Umsetzung sei es aber viel später gekommen.

Die Forschungstätigkeit des Freien Deutschen Hochstifts drückt sich zum Beispiel in der Erarbeitung von historisch-kritischen Werkeditionen aus. Bunzel stellte in seinem Vortrag die Frankfurter Brentano-Ausgabe vor, die eine der ersten Werkeditionen gewesen sei und dessen Redaktionsleiter er nun ist. Zunächst wurden 38 Bände geplant, doch mittlerweile umfasst die Edition bereits 70 Bände. In vier bis fünf Jahren solle die Ausgabe fertig sein, prognostizierte Bunzel. Diese Ausuferung des Projekts erklärte er damit, dass sich Brentano im Laufe der Zeit als „Eisbergautor“ herausgestellt habe. „Er muss permanent geschrieben haben. Ein Autor, der unglaublich viel produziert, verändert und dann fast nichts davon an die Öffentlichkeit gebracht hat“, sagte Bunzel. Um die Schwierigkeit beim Erarbeiten einer solchen Ausgabe zu veranschaulichen, verwies er auf die Verssatire „Das Maifeld von St. Helena“, die 1815 anonym erschienen ist. Nicht nur die Anonymität des Autors, sondern auch das Spiel mit Fehladressierungen, wie die Angabe eines erdachten Verlags, habe die spätere Zuordnung zu Brentano erschwert.

Und was sind die nächsten Pläne? Im Romantik-Museum wird bereits ein digitaler Tisch ausgestellt, an dem die Besucher*innen herausfinden können, wo sich die wichtigsten Autor*innen zu welchem Zeitpunkt aufhielten. Das neue Projekt „Briefnetzwerke der Romantik“ soll auf die Erforschung der Korrespondenz dieser Personen ausgedehnt werden. Bunzel stellte dieses Projekt den Studierenden vor, da es genau wie „Chronotopos Romantik“ als digitale Recherchestation verfügbar sein wird. „Briefnetzwerke der Romantik“ sei ein Versuch, die besonderen Knotenpunkte von Korrespondenzen zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu veranschaulichen. Als Grundlage dienen die Briefe aus der Brentano-Ausgabe, „die allerdings erst digitalisiert werden müssen“, erklärte Bunzel. Eine weitere Quelle seien die Briefe von Karoline von Günderrode, eine der wichtigsten Autorinnen der Frühromantik. Obwohl sie bereits mit 26 Jahren starb und nur ein schmales literarisches Werk hinterließ, hatte sie unfassbar viele Briefe geschrieben. Allerdings sind sie „noch zu einem gutem Viertel ungelesen.“ Eine weitere Schwierigkeit, auf die Bunzel hinwies, sei die „postalische Ungewissheit“. Die Briefe wiesen zwar Informationen wie das Datum, Ort und Adressaten auf, aber nicht, ob der Empfänger den Brief erhalten und gelesen hat oder sich am vermuteten Ort befand. Das Projekt „Briefnetzwerke der Romantik“ versucht, auch solche Fragen aufzunehmen und damit auch die Kommunikation im Raum sichtbar zu machen.

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