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Von Lukas Eisenmenger

Wohnen in unmittelbarer Nähe zur Universität, das erste Mal räumlich getrennt von den eigenen Eltern und ein umfangreicher Freundeskreis mit zahlreichen Partys: So oder so ähnlich stellen sich sicherlich viele Menschen das typische Studentenleben vor. Doch bei weitem nicht alle Studentinnen und Studenten fallen in dieses Muster. Das Pendeln zwischen Wohn- und Lernort ist auch an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) keine Seltenheit. Einblicke in die genaue Anzahl der aktuell hin- und herreisenden Studierenden fehlen bis dato, jedoch wird ersichtlich, dass Gießen ein beliebtes Ziel für Berufs- und Studienpendler zu sein scheint. Laut Arbeitsmarktbericht verzeichnet Gießen 2021 ungefähr 37.500 Pendler. Wetzlar, Pohlheim, Buseck, Wittenberg und Linden werden im Pendleratlas des gemeinsamen Statistikportals des Bundes und der Länder als die häufigsten Einzugsgebiete geführt. Volle Parkplätze und eine herausfordernde Suche nach einem geeigneten Abstellplatz des eigenen Pkws bestätigen die Annahme eines hohen Pendlervorkommens. Wie wirken sich die täglichen Fahrten auf den Alltag der Studentinnen und Studenten aus? Warum lieber pendeln statt in Uninähe wohnen?

Leonie* studiert derzeit im 6. Semester an der JLU. Sie legt jeden Tag eine Strecke von insgesamt 130 Kilometern mit ihrem eigenen Auto zurück. „Ich pendele, da ich mir so Mietkosten sparen kann“, erklärt die 23-Jährige. Tatsächlich wird bezahlbarer Wohnraum für Studentinnen und Studenten insbesondere in Universitätsstädten immer seltener. Dies geht unter anderem aus einem Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft hervor. „Natürlich muss ich auch Spritkosten und Versicherung bezahlen, aber das Wohnen in der Stadt wäre eben noch deutlich teurer“, so Leonie weiter. Zudem könne man Fahrgemeinschaften bilden oder auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen, um die Kosten weiter zu senken.

Transportmöglichkeiten jenseits des Autos nutzt Julian*, Student im 4. Semester. Zusammen mit seinen Eltern wohnt er in einer hessischen Kleinstadt. „So grob eine Stunde brauche ich pro Strecke“, berichtet er und ergänzt: „Dabei ist es natürlich nicht immer super angenehm, mit den Öffentlichen zu fahren, von Verspätungen oder Ausfällen ganz zu schweigen“. Doch zum einen müsse er Geld sparen, zum anderen nutze er die Bahn auch der Umwelt zuliebe. Das Semesterticket der JLU lässt Studierende innerhalb des Bundeslandes kostenlos reisen. Dies sei für Studentinnen und Studenten aus Hessen praktisch, für andere wiederum weniger brauchbar: „Ich kenne auch einige Studierende, die gar nicht in Hessen wohnen, da verstehe ich natürlich, dass die auf ein Auto zurückgreifen müssen“, argumentiert der 21-Jährige.

Das Pendeln hat einen hohen Stellenwert in der Alltagsplanung der betroffenen Studentinnen und Studenten. Klar, dass das auch Auswirkungen auf die restliche Tagesgestaltung hat. „Während sich insbesondere in den ersten Wochen nach Vorlesungsbeginn Freundesgruppen gebildet haben, konnte ich eigentlich niemanden kennenlernen“, bemängelt Marisa* „Viele haben sich nach den Veranstaltungen nachmittags oder abends getroffen und ich musste dann schon direkt die Heimreise antreten“. Die 20-jährige Lehramtsstudentin ist mittlerweile im 3. Semester und fährt nach wie vor drei Stunden pro Tag mit ihrem Auto. Doch auch wenn die sozialen Kontakte an der Universität auf der Strecke bleiben, sieht sie auch Positives im täglichen Hin- und Herfahren. So habe sie weiterhin eine gute Verbindung zu ihrer Heimat, ihrer Familie und ihren Freunden. „Ich bin ein familiärer Mensch und mag auch das Dorf, in dem ich lebe, sehr“ betont Marisa und gibt weiter an, sich deshalb bewusst für das tägliche Pendeln entschieden zu haben.

Darüber, dass Zuschreibungen wie „Hotel Mama“ oder „Unselbstständigkeit“ der täglichen An- und Abreise nicht gerecht werden, sind sich alle einig. „Jeder hat seine individuellen Gründe fürs Pendeln, sei es Geld, Familie oder Notlösung“, merkt Julian an. Und auch Leonie und Marisa finden, dass es anderen egal sein könne, ob man nun zu Hause oder in einer WG vor Ort wohne. Die Hauptsache sei doch, dass das Studium gut läuft.

Aus den unterschiedlichsten Ecken reisen Studierende zur JLU an. Die Gründe hierfür sind vielfältig und von Person zu Person verschieden. Neben positiven Seiten hat das tägliche Langstreckenfahren jedoch auch Nachteile. Studierenden, die selbst nicht pendeln, sind die Auswirkungen auf soziale Kontakte und Zeitgestaltung sowie das Herumschlagen mit Staus, Verspätungen oder Ausfällen häufig nicht bewusst. Mit bezahlbarem Wohnraum als Rückenwind könnten die Tage des endlosen Pendelns für viele Studentinnen und Studenten bald der Vergangenheit angehören. Ein solcher Schritt könnte nicht nur den Geldbeutel schonen, sondern auch den stressigen Verkehr reduzieren und gleichzeitig Raum für mehr Zeit zum Lernen, Netzwerken und authentischem Campus-Leben schaffen.

*Namen wurden anonymisiert