Von Benita Stein

Überraschend aktuell sind die Themen des Theaterstücks: Mit Spaltung des Glaubens, Hunger und Krieg wollen die Teufel die Menschheit peinigen, während die Kräfte des Himmels versuchen, ihnen entgegenzuwirken. Im Gespräch mit den Mitwirkenden offenbaren sie Einblicke hinter die Kulissen über die Entstehung der Aufführung und die Arbeit im Team.

Jedes Semester führt Cora Dietl, Professorin für Deutsche Literaturgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, mit Studierenden ihres Seminars ein Theaterstück auf – diesmal den „Sündenfall“ von Veit Garleben aus dem Jahre 1577. Im Programmheft ist nachzulesen, dass es auf einem Stück Lucas Mais aus dem Jahr 1562 aufbaut. Die Premiere fand am 07.12.2024 in der Evangelischen Stadtkirche in Grünberg statt. In Kostümen, die vom Marburger Landestheater ausgeliehen wurden, überzeugt die Studierendengruppe rund um Dietl auch dieses Semester wieder. Dass dies mit einem Text in frühneuhochdeutscher Sprache keine leichte Aufgabe ist, zeigt der ein oder andere Hänger, jedoch fällt das bei der schauspielerischen Leistung der Gruppe kaum ins Gewicht.

Die Studierenden sehen das Seminar als ansprechende Variante, neue Aspekte in ihrem Studium kennenzulernen: „Ich hatte bisher eher weniger mit Mittelalter und Früher Neuzeit zu tun. Deshalb fand ich es sehr interessant, ein Stück aus der Zeit zu lesen“, erklärt Germanistikstudentin Natalie Rempel, die den Engel Gabriel verkörpert. „Für mich war es sehr interessant, Theater zu spielen und dabei historisch akkurat zu sein. Außerdem war es spannend zu sehen, welche Kompromisse man angesichts des Budgets machen muss. Das zeigt sich zum Beispiel im Einsatz von Plastik bei manchen Kostümen“, stimmt Judith Falentin zu, die Angewandte Theaterwissenschaften (ATW) studiert und die Rolle der Eva übernimmt. „Es ist ja auch schockierend aktuell. Also es gibt immer noch die genau gleichen Sorgen wie vor 450 Jahren“, fügt Satan-Darstellerin Mia Sturzenhecker hinzu, ebenfalls eine Studierende der ATW.

Wie der Titel schon vermuten lässt, geht es um den Sündenfall Adams und Evas, verführt von der teuflischen Schlange mit dem Versprechen von gottgleicher Weisheit. Statt eines direkten Verweises aus dem Paradies folgt eine Gerichtsverhandlung über ihr Vergehen, bei dem sowohl himmlische als auch teuflische Mächte versuchen, Einfluss auf den Ausgang des Schicksals der Menschheit zu nehmen. Am Ende triumphiert die himmlische Seite, da Christus die Sünde auf sich nimmt und so seine menschliche Zeit auf Erden beginnt. Doch die teuflische Seite kündigt an, nicht zu ruhen und sogar die Erlösung beim Jüngsten Gericht zu verhindern.

Unterstrichen werden Szenen der Teufel durch bedrohliche Orgelmusik, die zusammen mit den in rot-schwarz gehaltenen Kostümen und dämonischen Masken eine beunruhigende Atmosphäre erzeugt. Dies wird durch ins Extreme gespielte Mimik und Gestik noch weiter verstärkt, wodurch beim Auftreten der Teufel einige Besuchende geradezu erschaudern. Einen Gegenpol erzeugen die Kostüme der himmlischen Partei und des Menschenpaares: Die Engel, die Tugenden sowie Gott und Jesus sind in weiße oder helle lange Gewänder mit goldenen Elementen gekleidet. Die Darstellenden von Adam und Eva tragen hautfarbene Bodysuits mit Plastikblatt-Besatz. Ihre Szenen sind ebenfalls ernst gehalten – einen ungewollten komödiantischen Bruch erhalten sie jedoch anfangs durch die fehlende Kooperation einer Requisite bei der Gießener Aufführung am 09.12. in der Pankratiuskapelle: Der Banner des paradiesischen Baums, von dem die Adam- und Eva-Darstellenden essen, fällt mehrfach auf den Boden.

Die Texte sucht Dietl selbst aus und bearbeitet sie, was auch großen Arbeitsaufwand beinhaltet: „Ich knüpfe das an meine Forschung an. Normalerweise liegen die Stücke als digitalisierte Frühdrucke vor, aber der Originaldruck dieses Stücks nicht, also bin ich nach Wolfenbüttel in die Herzog August Bibliothek gefahren und habe es abgetippt.“ Entstanden sei die Idee, frühneuzeitliche Stücke zusammen mit Studierenden aufzuführen nach Dietls Promotion, als sie 1996/97 im Zuge eines Stipendiums in Helsinki Konversationsunterricht geben sollte: „Da habe ich mir gesagt, wir machen das so: Sprachunterricht durch Theater.“ 2006 bei ihren Berufungsverhandlungen an der JLU sei die Frage aufgekommen, was sie zum Jubiläum der Universität beitragen könnte. Zur Gründung der Universität 1607 „muss es eine Aufführung gegeben haben und ich habe gesagt, ich finde den Text und führe ihn zum Jubiläum erneut auf. Und seitdem mache ich das.“ Dietl fand tatsächlich heraus, dass damals Daniel Cramers „Plagium“ gespielt wurde und brachte das Stück 2007 erneut auf die Bühne. Seitdem gibt es hier in Gießen für die Studierenden die Möglichkeit, dieses Seminar zu belegen.

Dass es eine abwechslungsreiche Alternative zu den restlichen Veranstaltungen ist, zeigen die Erfahrungen der Studierenden. Beispielsweise funktioniere die Aufteilung der Arbeit auf einzelne Gruppen anders, als man es gewohnt sei, wie Rempel schildert. Für die Theaterwissenschaftlerinnen sei die flache Hierarchie neu: „Sonst kenne ich Theaterspielen nur mit Regie. Und das hatten wir nicht und das war für mich auch eine gute Erfahrung“, führt Falentin hierzu an. Im Stück selbst hätten alle die gleiche Rolle eingenommen, indem sie beobachtet und Tipps gegeben hätten – auch an die Dozentin, wenn diese etwa mal ihren Text vergessen hat. „Frau Dietl überspielt das immer sehr gut. Auf der Bühne ist sie ein Teamplayer und versucht trotzdem, die nötigen Stichworte zu geben“, so Falentin. „Und das hat echt gutfunktioniert. Bei uns Teufeln war es auch egal, wir sollten uns ja ins Wort fallen“, ergänzt Sturzenhecker. Insgesamt beschreiben sie die Aufführung als einen Schritt aus der gewohnten Komfortzone, aber es habe sich gelohnt, wie das Lob nach den Vorstellungen für sie gezeigt habe: „Die Menschen im Raum geben einem auch Energie und dann geben wir Energie zurück, und das ist toll“, resümiert Falentin.