Vorstellung der Anthologie „Verbotene Liebe“, von links nach rechts: Christoph Schanze, Tristan Marquardt und Joachim Jacob. Foto von Nane Klein.

Von Nane Klein

„Wir hatten nur eine Forderung: Macht aus dem vorliegenden Gedicht wieder ein Gedicht“. Diesen Wunsch richtete Tristan Marquardt an über 60 zeitgenössischen Dichter*innen, die an seinem Buch ,,Unmögliche Liebe: Die Kunst des Minnesangs in neuen Übertragungen“ beteiligt waren. Am 20. Juni war der Lyriker, Literaturvermittler und Mediävist im Literarischen Zentrum Gießen zu Gast. Seine Anthologie veröffentlichte er zusammen mit dem Büchnerpreisträger Jan Wagner, die er auf der Veranstaltung mit einer Lesung und anschließenden Gespräch vorstellte.

In dieser Sammlung von Gedichten übertrugen die Lyriker*innen Minnelieder aus dem Mittelhochdeutschen in die Gegenwart und zeigten dabei, was Dichter*innen heute und damals bewegte. Immer wieder stehen Themen wie unerfüllte Liebe, Sehnsucht und Tugend im Vordergrund. „Lyrik und das Mittelalter interessieren mich einfach sehr“, begründet Marquardt dieses zeitübergreifende Projekt. Für ihn liegt der Reiz des Minnesangs darin, ,,dass man sowohl eine Verbindung als auch gleichzeitig eine große Distanz spürt“. Dieser Abstand beziehe sich auf die mittelalterliche Sprache und die damalige Vorstellung von Beziehungen und Liebe.

Marquardt: „Aus einem Gedicht wird Genauigkeit, kein Gedicht

Der Lyriker betont zu Beginn der Veranstaltung, dass er jeden mitreißen wolle, egal ob Lai*in oder Mediävist*in und erklärt in einer amüsanten und lockeren Weise den Grund des Buches und die Bedeutung von Minnesang. Dieser sei in Universitäten schnell nur Sache der Forschung geworden. In England sei das anders. Dadurch wäre bei Marquardt und Wagner die Idee entstanden, moderne Dichter*innen an die Lyrik des Mittelalters heranzuführen. Außerdem gäbe es viele unpoetische Übersetzungen von Gedichten aus dem Mittelhochdeutschen . Dabei stehe die sprachliche Genauigkeit im Vordergrund. Die Kunst der Verse, der lyrische Charakter, wird oft vernachlässigt.

„Wir wollten Minnesang mal einem anderen Publikum zeigen“, betont er und erzählt, dass er den Dichter*innen nicht viele Vorgaben für ihre Übersetzungen gegeben habe. So seien viele verschiedene Arten von Übertragungen entstanden.

Minnesang entstand in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts und ist eine Form der höfischen Liebeslyrik. In den Gedichten gehe es meist um ein liebendes Ich, das vergeblich eine unerreichbare Frau umwirbt. Die oft verheiratete Herrin wird dabei idealisiert und das lyrische Ich beschreibt in den Liedern seine Gefühle. Daher ist Minne oft mit Schmerz verbunden. Der Schwerpunkt liege auf ,,Glücklich werden durch unglücklich Sein“, da es fast nie zu einer Partnerschaft komme. Für Marquardt ist ,,Minnesang die Kunst der Variation“ und ihre Funktion ganz anders als die der heutigen Literatur.

Schwierigkeiten mit Mittelhochdeutsch

„Wie schaffe ich es, dass es neu klingt?“, fragten sich Marquardt und seine Lyriker*innen während der Übersetzungen der Gedichte. Dabei gab es einige Probleme mit dem Übertragen des Mittelhochdeutschen in die heutige Sprache. Es gäbe viele Begriffe, die gleich seien, aber mehrere Bedeutungen hätten, so genannte „falsche Freunde“: „Wörter, die so ähnlich wie die heutigen klingen, jedoch semantisch eine völlig andere Bedeutung haben“. Ein Beispiel dafür wäre das Wort ,,das dinc“, das fälschlicherweise oft mit ,,das Ding“ übersetzt würde. Die eigentliche Übersetzung sei jedoch ,,der Sachverhalt“. Dadurch wäre es hin und wieder zu falschen Übertragungen gekommen.

Marquardt: ,,Wir wollten uns nicht einmischen

Auf die Frage, ob er nicht einige Übersetzungen gerne überarbeitet hätte, antwortet er, dass sich das Herausgeberteam nicht einmischen und nicht positionieren wollte. „Man muss und kann nicht jede Übertragung mögen. Dazu waren die Herangehensweisen der Dichter einfach zu unterschiedlich und ebenso das, was sie daraus gemacht haben“. Marquardt betont, dass es ganz anders sei, aus dem Mittelhochdeutschen zu übersetzen, stattaus einer anderen Sprache.

Ihm habe besonders gut gefallen, dass die Texte teilweise auch eine lockere Note hätten. „Dies hat mir viele unterschiedliche Ansichten gezeigt“, antwortet er auf die Frage, ob ihm durch die Übersetzungen Gedichte nähergekommen seien. Er habe viele neue Entdeckungen gemacht und sei teilweise überrascht worden, wie wild die Gedichte interpretiert worden seien. An dem Buch waren renommierte Poet*innen wie Monika Rinck oder Joachim Sartorius, Durs Grünbein, Nora Gomringer und Marcel Beyer beteiligt.

„Wir haben Glück. Wir leben gerade in einer Zeit von großartigen Lyrikern.“ So schließt Tristan Marquardt die Veranstaltung. Mit einem Augenzwinkern scherzt er: „Für das Buch war es nicht nachteilig, dass Mitherausgeber Jan Wagner kurz vor der Veröffentlichung den Georg-Büchner Preis erhalten hat.“ Dies habe dem Projekt zusätzliche Aufmerksamkeit beschert.

Marquardt, Tristan; Wagner, Jan (Hrsg.): Unmögliche Liebe. Die Kunst des Minnesangs in neuen Übertragungen. München: Carl Hanser 2017.