Von Franziska Göbel und Emily Lippert
Was haben Kenia und das Selbstporträt von Arnold Schönberg gemeinsam? – Beide sind Teil von Online-Ausstellungen zum Thema Exil. Das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt (DNB) hat gleich zwei Projekte speziell für die Nutzung im Internet konzipiert. Seit 2018 zeigt Exil. Erfahrung und Zeugnis Objekte und Dokumente der Flucht aus Deutschland während des Nationalsozialismus. Es ist das virtuelle Pendant zur gleichnamigen Dauerausstellung der DNB in Frankfurt, die sich dort im großen Glasfoyer über zwei Etagen erstreckt.
Künste im Exil ist bereits seit 2013 online und bezieht sich explizit auf Künstlerinnen und Künstler. Dabei befasst sich die Ausstellung nicht nur mit der Flucht vor dem NS-Regime, sondern nimmt auch aktuelle Schicksale in den Blick.
Das digitale Angebot der DNB ist keine Reaktion auf die Schließungen der Museen aufgrund der Corona-Pandemie. Bereits seit rund acht Jahren arbeitet das Exilarchiv an Onlinestrategien, um Dokumente und Objekte auch im Netz zu veröffentlichen Dr. Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exil-Archivs 1933-1945 der DNB, beschreibt Künste im Exil folgendermaßen: „Die virtuelle Ausstellung widmet sich dem Phänomen Exil unter einer breiten Perspektive, indem sie für den deutschen Kontext den Zeitraum von 1933 bis zur Gegenwart behandelt. Die Ausstellung richtet sich an ein umfassendes Publikum, sowohl die kulturinteressierte Öffentlichkeit als auch Studierende, Schülerinnen und Schüler sollen angesprochen werden.“
Alltag im Exil?
Das zweite Projekt – Exil. Erfahrung und Zeugnis – nimmt Menschen aller Berufsgruppen und jeglichen Alters in den Blick.Wie gestaltete sich der Alltag im Exil? Was bot den Menschen Halt? Wohin konnten die Menschen flüchten? Mit solchen Fragen werden die Besucher bereits auf der Startseite konfrontiert. Wie ein Vorhang gleiten die drei Themenbereiche „Flucht, Exil, Rückkehr“ – „Menschen im Exil“ – „Länder des Exils“ mit dazugehörigen Fragen nacheinander über die Bildschirmfläche.
Das Kapitel „Menschen im Exil“ bildet das Herzstück. Klickt man darauf, erscheint eine Slideshow aus acht Portraits. Jedes steht für eine Biographie. So unterschiedlich wie die Bilder sind die Erfahrungen dieser Menschen: Ernst Loewy ist 16 Jahre alt, als er ohne Eltern nach Palästina flieht. Dort beginnt er eine Ausbildung als Buchhändler und gründet später eine Familie. Das Ehepaar Neumann zwang ihre politische Einstellung zur Emigration in die Sowjetunion. Beide waren überzeugte Kommunisten und politisch aktiv. Heinz Neumann wird zwei Jahre nach der Flucht hingerichtet. Die Publizistin und Schriftstellerin Margarete Buber-Neumann überlebt eine Lagerhaft in Sibirien sowie dasFrauenkonzentrationslager in Ravensbrück. Erst 1946 findet sie Schutz in Schweden.
Ein selbstgeschriebenes Geburtstagsgedicht an den Vater, ein persönlicher Brief an den Freund, ein Telefonat zwischen Tochter und Mutter (abrufbar als Tonspur) – es sind solche Exponate, die diese Schicksale greifbar machen.
Die Ausstellung berichtet auch über Orte, an denen Menschen Schutz suchten. Sie thematisiert die politische Lage und die Aufnahmebedingungen, mit denen Exilierte konfrontiert waren. Kenia war ein solches Land des Exils. Es nahm ungefähr 650 Flüchtlinge auf, die meisten davon jüdischer Herkunft. Viele von ihnen arbeiteten anschließend als Farmmanager. Da die meisten nur wenige Kenntnisse über Landwirtschaft hatten, mussten sie auf Lehrfarmen geschult werden. Wer mehr über Flucht, ihre Ursachen oder die Hindernisse im Alltag im Exil wissen möchte, kann sich im Bereich „Flucht – Exil – Rückkehr“ umsehen. Vor allem interessierte Neulinge können sich hier ganz basal mit der Thematik auseinandersetzen.
Alle drei Bereiche sind kapitelförmig aufgebaut: Sie enthalten eine Übersicht bestehend aus einem kurzen Text, ähnlich wie bei einem Audio-Guide, und eine Slideshow mit weiteren Unterkapiteln. Diese informieren mit Text, Bild und einer Exponat-Galerie grundlegend. Der klare Aufbau schützt vor Überforderung mit dem Medium Online-Ausstellung und ermöglicht eine gute Übersicht. Gleichzeitig laden die Galerien und der nicht-hierarchische Aufbau zum Stöbern ein.
Exilkunst
Siebzehn quadratische Felder erwarten die Besucher, wenn sie die Startseite von Künste im Exil aufrufen. Himmelblau ist die eine Hälfte der Felder gestaltet. Die restlichen Kacheln zeigen Fotografien von Künstlern, die aufgrund ihrer politischen Ansichten, ihrer Herkunft oder Weltanschauung gezwungen waren, im Exil zu leben. Um sie und ihre Kunst dreht sich diese Ausstellung. Jedes Feld ist ein Tor zu neuen Informationen und Erfahrungen. Porträts der Künstler berichten über ihr Leben vor, in und nach dem Exil.
Marlene Dietrich ist eines der prominenteren Beispiele, das die Startseite zeigt. Klickt man ihr Foto an, wird man weitergeführt zu ihrer Geschichte. „Es ist kein leichter Entschluß, seine Nationalität zu wechseln, selbst dann nicht, wenn man die Ansichten und Methoden, die das Geburtsland plötzlich gutheißt, verachtet. […]“, eröffnet ein Zitat Dietrichs die Seite, die ihr gewidmet ist. Sie berichtet über ihr Leben im Exil und über den Versuch, eine neue Heimat zu finden. So bekommt jede vorgestellte Persönlichkeit ihren Platz zugewiesen und Raum für ihre Erlebnisse und Geschichten. Denn obwohl alle das Schicksal Exil teilen, hätten die einzelnen Biografien nicht unterschiedlicher verlaufen können.
Die Ausstellung berichtet zudem von aktuellen Schicksalen: Künstler, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben. Soauch Herta Müller. Die aus Rumänien stammende Schriftstellerin geht 1987 nach Deutschland ins Exil. Als Oppositionelle stellte sie sich gegen das Regime Ceaușescus. Immer wieder setzt sie sich dafür ein, dass Exilerfahrungen auch im öffentlichen Raum mehr Aufmerksamkeit erhalten. Doch diese Porträts sind nicht alles. Verzweigt wie das Geäst einer Baumkrone führt die Ausstellung immer weiter durch die Welt von Künsten und Künstlern im Exil. Dokumente und Fotografien sind passend zu jedem Thema in einer kleinen Galerie am Ende jedes Künstlerporträts zu finden. Die linke Seite bietet einen weiterführenden Überblick zu Themen, die ebenfalls in Verbindung mit dem Künstler stehen. Bei Marlene Dietrich sind es beispielsweise Film und USA. Entscheidet man sich USA anzuklicken, erfährt man nicht nur etwas über das Einwanderungsland, sondern man wird auch hier wieder weitergeleitet zu Themen wie New York, Architektur, Musik und vielem mehr.
Eine Ausstellung, bei der die Besucher selbst aktiv werden können, ja sogar müssen, um sich durch ihre vielen Facetten zu klicken. Mit dem geringeren zeitlichen Aufwand und der ständigen Verfügbarkeit der Informationen bietet Künste im Exil mehr Freiheiten als ein Museumsbesuch. Und diese Freiheit sollte man nutzen.
Die beiden Online-Ausstellungen des Deutschen Exilarchivs 1933-1945/DNB Frankfurt sind zu finden unter:
Künste im Exil: https://kuenste-im-exil.de/KIE/Web/DE/Home/home.html
Exil. Erfahrung und Zeugnis: https://exilarchiv.dnb.de/DEA/Web/DE/Home/home.html