Von Carolina Schreiber
„Rosas schwarzer Schwan“ wirkt wie ein filigranes Kunstobjekt, ist aber tatsächlich ein ungewöhnliches Bewässerungsgerät. Als das Team des Gießkannenmuseums bemerkte, dass der bekannte Film- und Theaterregisseur Rosa von Praunheim der Einrichtung auf Instagram folgte, fragte es mutig nach einem signierten Exemplar. Prompt kam ein Paket aus Berlin: ein kunstvoll verzierter, schwarzer Schwan aus Kunststoff, datiert und signiert – der erste queere „Gießvogel“ in dieser bemerkenswerten Sammlung.

Ebenso kurios ist die Kanne „Black Cat“, die ein Nachbar des Museums aus England mitbrachte. Ursprünglich in Holland designt und in China produziert, landete die verschmitzt dreinblickende Plastikkatze schließlich in Gießen. Ihr gebogener Schwanz dient als Griff, ihr Maul als Ausguss. Ein weiteres Highlight ist die „Stetige Begleiterin“, eine rotorange Faltkanne aus den späten Siebzigern, die einst zum spontanen Bewässern auf dem Friedhof diente. Obwohl sie inzwischen undicht ist, macht ihre Geschichte sie zu einem wertvollen Sammlerstück.
Wer genauer hinsieht, entdeckt außerdem die „First-Ladys-Can“, eine silbern glänzende Kanne mit typisch französischer Form, die von Daniela Schadt, Lebensgefährtin des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, und Elke Büdenbender, Gattin von Frank-Walther Steinmeier, im Park zum Schloss Bellevue genutzt wurde. Museumsleiterin und Künstlerin Ingke Günther zeigt sich begeistert von dieser Spende: Ein einziger Gartenhelfer kann eine ganz eigene Historie in sich tragen.
Die Idee für diese außergewöhnliche Ausstellung entstand rund um die Landesgartenschau 2014, als die Stadt Gießen die Künstlergruppe „Gärtnerpflichten“ mit Begleitprojekten beauftragte. Ein Bürger schlug vor, ein Gießkannenmuseum zu gründen. „Super Idee! Wir beschäftigen uns ohnehin mit Alltagskultur“, sagten Günther und ihr Team. 2011 starteten sie auf dem Wochenmarkt einen Aufruf, bewährte Gefäße samt Herkunftsgeschichten abzugeben. Anfangs nur in provisorischen Räumen untergebracht, zog die stetig wachsende Sammlung 2017 in ein ehemaliges Ladenlokal am Sonnenweg 3, nahe dem Botanischen Garten.

Ein Blick ins große Schaufenster zeigt liebevoll arrangierte Exponate. Dahinter bieten Regale und hängende Installationen unzähligen Kannen aus über 37 Ländern eine eigene Bühne. Manche tragen besondere Familiensagen in sich, andere nennt man „Schwiegermutterkannen“, weil sie praktische und wertige Geschenke an die Schwiegertöchter waren. So berichtet eine Anekdote von einer Schwiegermutter, die mit extralanger Tülle durch Gardinen hindurch goss, um das perfekte Arrangement zu schonen.
Auch beim Veranstaltungsprogramm hebt sich das Museum hervor. Schulklassen, Familien, Landfrauenvereine oder Kunstinteressierte tauchen hier in die Welt eines scheinbar schlichten Gebrauchsobjekts ein. Viele schauen spontan rein, staunen und gehen mit einem Lächeln. „Hier ist nur Gießkanne. Keine Sorgen, keine Ängste, keine Zweifel – nur Gießkanne“, notierte eine gerührte Besucherin ins Gästebuch.

Das Museum organisiert regelmäßig Events, darunter Führungen und Vorträge. Besonders beliebt ist der „Tag der Gießkanne“ am 4. Juli, an dem die Unabhängigkeit vom Regen gefeiert wird. Ein großes Ereignis erwartet das Museum außerdem im Mai 2025: Der gefeierte Schriftsteller und Buchpreisträger Saša Stanišić wird auf Einladung des Museums nach Gießen kommen. „Das wird unser Highlight des Jahres“, erzählt die Künstlerin strahlend. Der Besuch, der in Kooperation mit dem Literarischen Zentrum Gießen (LZG) und der Universität Gießen organisiert wird, findet am 7. Mai in der Aula der Universität statt. Der Anlass für die Einladung ist Stanišićs 2024 veröffentlichtes Buch mit dem außergewöhnlichen Titel: „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“. Der Besuch verspricht, nicht nur für Literaturbegeisterte ein Erlebnis zu werden, sondern auch das Gießkannenmuseum einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Ein weiteres Beispiel dafür, wie das kleine Museum es schafft, Alltagskultur und große Kunst miteinander zu verbinden.
Wie bei vielen kulturellen Einrichtungen bleibt die Finanzierung eine ständige Herausforderung. Das Museum wird aus einem städtischen Budget, Spenden und Mitteln eines Fördervereins getragen. „Wir sind ein kleines Team, das alles stemmen muss“, erklärt Günther. Trotzdem blickt sie optimistisch in die Zukunft: „Das Museum ist nicht mehr wegzudenken und wird sicher bleiben.“ Das Gießkannenmuseum in Gießen ist mehr als ein kurioses Ausflugsziel. Es ist ein lebendiges Zeugnis für die Verbindung von Alltagskultur, Kunst und Geschichte. Mit seiner Sammlung, die ständig wächst und Veranstaltungen, die ein breites Publikum ansprechen, hat es sich überregional einen Namen gemacht.