Foto: Joanna Ignasiak

Verhaftung Karl Minnigerodes

Am „Elefantenklo“, dem informellen Wahrzeichen Gießens, befand sich einst das Selterstor. Dort wurde am 1. August 1834 der Student Karl Minnigerode (1814-1894) mit mehr als einhundert Ausgaben des Hessischen Landboten verhaftet. Die sozialrevolutionäre Flugschrift, ein Gemeinschaftswerk des späteren Schriftstellers Georg Büchner (1813-1837) und des demokratisch-republikanisch gesinnten Friedrich Ludwig Weidig (1791-1837), war erst am Vorabend von Minnigerode und zwei weiteren Studenten aus einer Offenbacher Druckerei ins Umland geschmuggelt worden. Daraufhin sollte der Landbote an die Bevölkerung verteilt werden, um diese für den notwendigen Aufstand gegen das Großherzogtum Hessen zu mobilisieren. Die Verteilung gelingt teilweise, Minnigerode jedoch wird auf frischer Tat ertappt. Der Weidig nahestehende Konrad Kuhl hatte den Landboten-Kurier an die staatliche Obrigkeit verraten und wurde im Gegenzug mit Erkenntlichkeiten belohnt. Karl Minnigerode wird erst im Jahre 1837 aus der Haft entlassen und emigriert in die USA, wo er als Gelehrter und Geistlicher arbeitete.

Vorher: Ein Blick von der oberen Frankfurter Straße zum Selterstor. Die Zeichnung entstand zwischen 1840 und 1860.
Quelle: © Bildarchiv von Universitätsbibliothek und Universitätsarchiv Gießen, HRA1360a
Nachher: Der Umgekehrte Blick – vom Selterstor hoch zur Frankfurter Straße mit dem bekannten Elefantenklo.

Der Hessische Landbote

Der Hessische Landbote, mit dem Georg Büchner wenn auch anonym die literarisch-politische Bühne betritt, war radikaler als vergleichbare zeitgenössische Flugschriften. Nahe am Alltag und an der Bildung der ländlichen Schicht orientiert, versucht die Schrift sowohl durch biblische Bezüge als auch durch genaue Angaben über die Steuerausgaben des Großherzogtums Hessen die Bevölkerung über die Ungerechtigkeiten aufzuklären, die ihnen tagtäglich wiederfahren. Nur durch eine gewaltsame Reaktion könne man sich dieses fürstlichen Joches entledigen. Vor dem Hintergrund revolutionärer Ausrufe wie dem berühmten: „Friede den Hütten! Krieg den Pallästen!“, lässt sich das harte Durchgreifen der Obrigkeiten verstehen. Der Veröffentlichung des Landboten ging eine mehrmonatige Diskussion voraus, in der Friedrich Ludwig Weidig Änderungen an Büchners Erstfassung durchsetzte. Weidig sah in der Büchnerschen Klassenrhetorik eines Arm gegen Reich, einen taktischen Fehler und ersetzte die „Reichen“ durch die „Vornehmen“. Die schlussendliche Druckfassung der Flugschrift vom Juli 1834 war somit ein Kompromiss zwischen den an der französischen Revolution orientierten Ansichten Büchners und den gemäßigteren Weidigs.