Von Marie Winkler
„Die Kinder sollen Spaß haben und am Buch dran bleiben“, so Frau Jablonowski, Klassenlehrerin einer 4. Klasse an der Albert-Schweitzer-Schule in Nidderau. Doch was lesen Kinder gerne? Welche Bücher finden sie spannend? Was würden sie selbst als Klassenlektüre empfehlen? Ein Gespräch mit jungen Leser*innen und den Lehrkräften zeigt: Schul- und Freizeitlektüre könnten unterschiedlicher kaum sein. Dennoch gibt es Wege, beide Welten miteinander zu verbinden.
An der Schule von Anette Jablonowski erfolgt die Bücherauswahl meist durch die Lehrkräfte. Genutzt werden etwa 15 Titel verschiedener Genres, die sich in der internen Bibliothek befinden. Zwar werde berücksichtigt, was gefallen könnte, eine aktive Einbindung der Kinder in die Entscheidung erfolge jedoch nicht. Der Grund: zu viele unterschiedliche Vorlieben und nicht jeder Wunsch kann erfüllt werden. Ihre Klasse besteht aus 17 Jungen und 8 Mädchen. Ihre Viertklässler kennt sie schon sehr gut und sieht, was die Kinder sich aus der Bücherei ausleihen, daran orientiert sie sich auch bei der Wahl der Klassenlektüre.
In der 2. Klasse wurde „Der Findefuchs – wie der kleine Fuchs eine Mutter bekam“ von Irina Korschunow gelesen. Die Geschichte handelt von einem kleinen Fuchs, der alleine lebt, bis eine Füchsin ihn entdeckt, die sich um ihn kümmert. In der 3. Klasse folgte „Der Meisterdieb – ein Krimi aus dem Mittelalter“ von Fabian Lenk. Der Nürnberger Goldschmied Hartwin wird verhaftet, seine Tochter Johanna rettet den Vater, indem sie den echten Dieb findet und die Kinder dürfen bei den Spurensuche miträtseln. Beide Geschichten werden aber eher distanziert gelesen. Elisa sagt: „Der ‚Findefuchs‘ war zu emotional, ‚Meisterdieb‘ war zwar eine gute Geschichte, würde ich aber nicht privat lesen.“ Auch die Mutter eines Jungen bestätigt: „Bei dem Buch ‚Findefuchs‘ habe ich bemerkt, dass es für meinen Sohn eher nichts ist. Er würde es zu Hause nicht lesen, wenn er nicht müsste.“
Aber was lesen Kinder gerne? In ihrer Freizeit greifen Kinder deutlich lieber zu spannenden und zugleich unterhaltsamen Büchern. Giovanni liest gerne „Gregs Tagebuch“ aber auch „Die drei ???“. Emily bevorzugt „Harry Potter“. Elisa schwärmt für „Die drei !!!“ und Tiergeschichten. Was diese Bücher eint, ist ein hohe Identifikationsfaktor mit den Figuren und Themen sowie die Einbindung von Abenteuern und Rätseln. „Wenn Fälle gelöst werden müssen, ist mein Kind mehr dabei, da sie aktiv mitdenken muss“, erklärt die Mutter einer Tochter.
Auch die Buchgestaltung beeinflusst die Lesemotivation. Giovanni betont: „Ich brauche Bilder in den Büchern, um mir die Geschichte besser vorstellen zu können.“ Dejan dagegen bevorzugt Sachbücher: „Ich lese gerne wissenschaftliche Bücher wie ‚Was ist was‘, weil sie viele Informationen beinhalten und man Neues erlernt.“ In Schule und Freizeit zeigt sich außerdem eine unterschiedliche Lesemotivation. Während sich Elisa gerne beim Lesen „entspannt“ oder „zur Ruhe“ kommt – wird es in der Schule oft als „Pflichtaufgabe“ wahrgenommen. Dabei sehen die Kinder durchaus einen Nutzen im Lesen. Emily merkt an: „Ich lerne durchs Lesen, wie ich Wörter richtig schreibe und ausspreche. Das hilft mir für den Deutschunterricht.“ Die Auswahlkriterien für eine „spannende“ Lektüre sind dabei erstaunlich konsistent: neue Informationen, überraschende Wendungen, gut vorstellbare Inhalte und ein Bezug zur Lebenswelt. Elisa fasst es treffend zusammen: „Fälle lösen ist spannend.“
Was würden Kinder also selbst als Klassenlektüre vorschlagen? Ihnen ist nicht nur die Möglichkeit zur Auswahl wichtig, sondern auch das Gefühl, mitentscheiden zu können. Giovanni bringt es auf den Punkt: „Damit jeder einen freien Willen beim Bücherlesen haben kann.“ Dejan schlägt konkret vor: „Eine Auswahl von drei Büchern wäre sinnvoll, wenn die Kinder aus der Klasse dann gemeinsam entscheiden könnten.“ Wie sieht es zu Hause mit Entscheidungsfreiheit aus? Die meisten Kinder wählen ihre Bücher eigenständig, teilweise mit Empfehlungen der Eltern. Elisa erzählt: „Manchmal bekomme ich Bücher geschenkt, aber ich suche mir dann selbst aus, was ich lese.“ Giovanni ergänzt: „Meine Eltern schlagen mir Bücher vor, aber ich entscheide selbst.“
