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Von Kai Kiraly

Das Referendariat gilt als die intensivste und forderndste Phase auf dem Weg in den Schuldienst – eine Zeit zwischen Selbstzweifeln, Selbstfindung und stetigem Lernen. Die Referendarinnen Jana mit den Fächern Arbeitslehre und Mathematik, Lisa (Name von der Redaktion geändert) mit Ethik und Politikwissenschaften, die jeweils an einer Gesamtschule lernen, und Referendar Martin mit den Fächern Englisch und Politikwissenschaften an einem altphilologischen Gymnasium berichten offen und reflektiert von ihren Erfahrungen. Ihre Geschichten zeigen, wie unterschiedlich dieser Ausbildungsabschnitt verlaufen kann – und wie sehr er über die rein fachliche Qualifikation hinausgeht.

In Hessen beginnen jährlich mehrere tausend Lehrkräfte ihren Vorbereitungsdienst. Die Zahl schwankt je nach Schulform und Bedarfslage, lag aber zuletzt bei etwa 3.500 Neueinsteiger*innen pro Jahr (Stand 2024). Die Plätze sind begrenzt und werden zentral über das Hessische Kultusministerium in einem Bewerbungsverfahren vergeben. Dabei gelten bestimmte Zulassungsvoraussetzungen, etwa der erfolgreiche Abschluss des ersten Staatsexamens, sowie formale Kriterien wie die Wahl der Schulform und Fächerkombination. In einigen Disziplinen – insbesondere in den Naturwissenschaften und der beruflichen Bildung – besteht derzeit ein erhöhter Bedarf, was die Chancen im Auswahlverfahren verbessert.

Die Vorbereitung auf den Vorbereitungsdienst verlief bei allen drei Befragten unterschiedlich: Während sich Jana vorab online informierte und sich mit befreundeten Lehrkräften austauschte, ließ Lisa, die wie Jana an einer kooperativen Gesamtschule unterrichtet, die Dinge lieber auf sich zukommen: „Ich habe mich ehrlich gesagt gar nicht groß vorbereitet, sondern alles auf mich zukommen lassen.“ Und sie ergänzt: „Im Nachhinein war das auch genau richtig so.“ Auch Martin, der an einem Gymnasium unterrichtet, startete ohne festen Plan. Stattdessen verließ er sich auf eine langjährige Überzeugung: „Ich wusste schon seit der Schulzeit, dass ich Lehrer werden möchte. Mich hat vor allem die Idee begeistert, Wissen zu vermitteln und junge Menschen zu begleiten.“

Der Einstieg in den Vorbereitungsdienst war für alle drei gleichermaßen überwältigend. „Eine Reizüberflutung“, so beschreibt Lisa ihre ersten Wochen. Neue Gesichter, ungewohnte Abläufe, hohe Erwartungen – und der Druck, plötzlich nicht mehr nur zu hospitieren, sondern eigenverantwortlich zu unterrichten. Auch Martin erinnert sich: „Die ersten Tage fühlten sich an wie der Sprung ins kalte Wasser. Alles wirkte wahnsinnig schnell und ich hatte ständig das Gefühl, irgendetwas zu vergessen.“ Jana berichtet, dass es ihr vor allem schwerfiel, Struktur in ihre Planung zu bringen. Erst nach einiger Zeit fand sie Routinen, die ihr Sicherheit gaben. Ein Aspekt, den alle drei betonen: Die Verantwortung im Schulalltag ist deutlich größer als erwartet – besonders im Vergleich zum Studium. Die Illusion, dass Praktika ausreichend vorbereiten, verfliege schnell. Jana schildert es so: „Als Referendarin bin ich voll verantwortlich – ich plane die Stunden, ich korrigiere, ich bewerte. Das ist ein anderes Level als im Studium.“ Lisa hebt hervor, dass man gerade in den begleitenden Seminaren stark dazu angehalten wird, den eigenen Unterricht kontinuierlich zu hinterfragen und zu optimieren. Martin stimmt zu und ergänzt: „Der Anspruch an die Qualität jeder einzelnen Stunde ist extrem hoch. Was im Studium als solide durchging, würde hier kaum bestehen.“

Auch die emotionale Belastung spielt eine große Rolle. Bei allen drei liegt die wöchentliche Arbeitszeit deutlich über 40 Stunden – nicht selten werden Wochenenden zur zweiten Schicht. Lisa beschreibt es treffend: „Nach dem Unterricht geht’s zu Hause weiter. Der Schreibtisch wird zum Dauerarbeitsplatz.“ Martin empfindet es ähnlich. Dennoch sieht er nicht jede Aufgabe als Last: „Ich arbeite viel, ja – aber ich sehe das als Teil meiner Entwicklung. Ich will es gut machen.“ Jana hingegen gibt offen zu, dass sie ihr Privatleben derzeit fast vollständig zugunsten der Ausbildung zurückstellt. Die Balance zwischen beruflicher Anforderung und Erholung ist für sie momentan kaum zu halten.

Trotz aller Herausforderungen gibt es Lichtblicke. Was die drei am meisten überrascht hat, ist die Unterstützung – insbesondere durch Kolleg*innen und andere Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst. Jana war zunächst skeptisch, wurde jedoch positiv überrascht: „Viele im Kollegium haben ein offenes Ohr. Das habe ich nicht erwartet.“ Für Martin sind besonders die Gespräche in der Kaffeeküche ein wichtiger Anker: „Da entstehen echte Beziehungen – auch mal mit einem Schulterklopfen nach einem miesen Unterrichtsbesuch.“ Lisa schätzt vor allem den Austausch mit anderen Referendar*innen: „Da gibt es kein Konkurrenzdenken. Wenn man sich gegenseitig hilft, kann man sehr viel voneinander lernen.“ Der Zusammenhalt unter den sogenannten LiVs (Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst) wird von allen als unverzichtbar beschrieben. Auch das Verhältnis zu Ausbilder*innen und Schulleitung spiele eine große Rolle. Während Martin mit seinen Mentor*innen Glück hatte und sich ernst genommen fühlt, beschreibt Lisa das Miteinander als durchwachsen: „Es ist eine zwischenmenschliche Sache. Mit manchen kommt man klar, mit anderen nicht – und das kann die Ausbildung schon belasten.“ Jana bestätigt, dass die Erfahrung stark davon abhängt, an wen man gerät. Was sie jedoch besonders hervorhebt: Ihre Schulleitung stehe hinter den Nachwuchskräften, was eine große Erleichterung sei.

Besonders eindrucksvoll sind die persönlichen Erlebnisse, von denen alle drei berichten. Für Lisa war es ein selbstgemaltes Bild, das ihr ein Schüler schenkte: „Solche Kleinigkeiten geben dir so viel zurück – besonders in den Momenten, in denen du alles infrage stellst.“ Martin erzählt von einem Jugendlichen, der nach einer Stunde das Gespräch suchte und sich dann für seine Unterstützung bedankte: „Da wusste ich: Dafür mache ich das.“ Jana erinnert sich an eine Situation im Werkunterricht, als zwei Schüler, die sonst kaum miteinander sprachen, gemeinsam an einem Projekt arbeiteten – friedlich und konstruktiv. „Solche Szenen berühren einen – und sie bleiben.“ Rückblickend sehen alle drei die Zeit im Vorbereitungsdienst nicht nur als fachliche Qualifikation, sondern als intensive Persönlichkeitsentwicklung. Martin formuliert es so: „Man wächst jeden Tag – auch wenn es sich nicht immer so anfühlt.“ Lisa betont, wie wichtig es sei, authentisch zu bleiben: „Du darfst dich nicht verbiegen. Du musst deine Persönlichkeit mit dem Beruf verbinden.“ Auch Jana sieht in dieser Phase eine wertvolle Gelegenheit zum Lernen – trotz aller Belastung.

Für zukünftige Referendar*innen haben sie klare Ratschläge: Gelassenheit, Offenheit und Durchhaltevermögen. „Der Stress kommt sowieso – also ruhig bleiben“, rät Lisa. Jana ergänzt: „Rückschläge sind normal. Auch erfahrene Lehrkräfte erleben schwierige Stunden.“ Martin wiederum warnt davor, zu glauben, man wisse bereits alles über den Beruf: „Wer nicht bereit ist zu lernen, wird im Vorbereitungsdienst schnell an seine Grenzen stoßen.“ Alle drei sind sich einig: Diese Phase ist fordernd – aber sie lohnt sich. Denn sie zeigt nicht nur, wie man unterrichtet. Sie offenbart auch, wer man ist – und wer man werden kann.