von Lukas Eisenmenger
Lesen als Freizeitbeschäftigung scheint aus der Mode gekommen zu sein: Laut einer Studie zur Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen nahmen 2021 nur noch 32 Prozent der Untersuchungsgruppe regelmäßig ein Buch zur Hand. Die Untersuchung mit dem Titel „Jugend, Information, (Multi-)Media“ kommt zu dem Ergebnis, dass der Anteil an Bücherlesenden seit 2017 sank. Aktuelle Studien wie die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) bestätigen, dass jeder vierte Viertklässler nicht richtig lesen könne. Auch der deutsche Buchmarkt konnte lediglich in der Vergangenheit höhere Umsätze verzeichnen. Wirtschaftsprüfer wie PricewaterhouseCoopers sagen einen Rückgang des Buchmarktumsatzes um mehrere Hundert Millionen Euro für die kommenden Jahre voraus.
Doch warum scheint Lesen nicht mehr die beliebte Freizeitbeschäftigung zu sein, die sie einmal war? Wie häufig gehen Studentinnen und Studenten der Justus-Liebig-Universität (JLU) dieser Aktivität nach und wodurch wird ihr Leseverhalten beeinflusst? Warum sollte man bei all den modernen Alternativen überhaupt noch lesen? Eine eigens durchgeführte Online-Umfrage für das Ger.Magazin unter 40 Studentinnen und Studenten sowie Interviews mit Leseinteressierten bieten einen genaueren Einblick.
Es ist nicht möglich, überhaupt Zeit für das Blättern in Literatur in der Freizeit aufzubringen: Diese Aussage vertreten ungefähr 13 Prozent der Befragten. Immerhin sagen sieben von zehn Immatrikulierten der JLU, dass ihnen zwischen einer und fünf Stunden wöchentlich zum Lesen von Büchern zur Verfügung stehe. „Aktuell lese ich null Stunden pro Woche“, äußert Lena*. Die Studentin des Grundschullehramtes bezeichnet das Versinken in die Welt der Bücher als eines ihrer liebsten Hobbys und bedauert den Mangel an verfügbarer Zeit. Dass sich das Studium negativ oder sehr negativ auf das sonstige Leseverhalten auswirkt, geben auch circa 71 Prozent der befragten Hochschüler an. Die gleiche Anzahl der Umfrageteilnehmer sagt, dass sie im Vergleich zu ihrer Kindheit und Jugend weniger oder viel weniger lesen. Jonas*, Psychologiestudent, erklärt: „Ich versuche wenigstens zweimal die Woche für eine Stunde zu lesen, früher habe ich das aber eigentlich täglich gemacht.“
Universitäre Verpflichtungen scheinen das Lesen aus der Freizeitplanung vieler Studentinnen und Studenten zu verdrängen. Hinzu kommt, dass so gut wie alle Studiengänge sehr leseintensiv sind, sodass die Lust in der Freizeit schlicht und ergreifend fehlt. „Allein der Leseprozess an sich wird dann einfach auch anstrengend, wenn man es die ganze Zeit machen muss“, kritisiert Lena und verweist damit auf die Verschmelzung von Lesen als empfundenen Zwang und Lesen als Methode der Freizeitgestaltung.
Wenn einmal Zeit zum Lesen gefunden wird, scheinen Fantasy- und Liebesromane die Genres der Wahl zu sein: 29 Prozent der Umfrageteilnehmer interessieren sich für romantische Geschichten und zwischenmenschliche Beziehungen, circa 32 Prozent tauchen gerne in die Welt der Feen, Magier und Ungeheuer ein. Blutig und spannend muss es für immerhin etwas über 20 Prozent der Befragten sein, sie geben Krimis und Thriller als ihre liebsten Buchgattungen an. Lena empfindet Liebesromane als „besonders“ und ergänzt „natürlich sind die immer idealisiert und perfekt dargestellt, aber es ist einfach so schön, das zu lesen“. Jonas liest Krimis gelegentlich auf dem eBook-Reader, am liebsten nutzt er jedoch klassische Printmedien. Er gibt an, dass es auch mal schön ist, von den digitalen Endgeräten wegzukommen und ein Buch in der Hand zu halten. Das sehen auch knapp 82 Prozent der befragten Studierenden der JLU so. Nur ungefähr jeder fünfte liest hauptsächlich auf dem Handy oder Tablet. „Ich habe das Gefühl, wenn es digital ist, ist es nicht wirklich da.“ Lena unterstreicht, dass gedruckte Bücher für sie immer die erste Anlaufstelle sein werden und hebt zudem hervor, noch nie freiwillig auf die digitale Alternative zurückgegriffen zu haben.
Nicht nur zum Entspannen und Abschalten vom Alltag eignet sich das Lesen in der Freizeit. Ebenfalls profitiert der Kopf und das Denkvermögen. 97 Prozent der Umfrageteilnehmer glauben, dass sich der Konsum von Büchern in der Freizeit positiv auf ihre kognitiven Fähigkeiten auswirkt. Studien bestätigen diese Annahme: Immer wieder konnte wissenschaftlich bestätigt werden, dass das Lesen von Printmedien einen positiven Einfluss auf die Auffassungsgabe und das Gedächtnis des Menschen hat. Jonas und Lena teilen diese Ansicht und sind sich sicher, dass häufiges Lesen das Bewältigen von sonstigen Aufgaben und geistigen Herausforderungen erleichtert. Die Grundschulstudentin sagt zudem, dass das Abtauchen in Bücher eine der besten Methoden ist, um in der „heutigen schnelllebigen Zeit und in Zeiten von Social Media“ einen Ausgleich zu finden. „Ich finde es einfach sehr entspannend, […] weil man nur eine Sache hat, auf die man sich konzentrieren kann und alles andere ausblenden kann“, so die Studentin.
Ist das Lesen in der Freizeit also nicht mehr zeitgemäß? Im Gegenteil: Es scheint, als sehnten sich viele junge Menschen mehr denn je nach Momenten der Ruhe mit einem guten Buch. Der stressige und schnelllebige Universitäts- und Berufsalltag lässt das gezielte Abschalten jedoch oft nicht zu. Und eine Entschleunigung des Lebens ist nicht in Aussicht. Auch wenn es schwierig erscheint: Vielleicht liegt häufig nur eine bewusste Entscheidung zwischen dem Erleben einer grandiosen Geschichte und dem endlosen Scrollen auf dem Smartphone.
*Die Namen wurden anonymisiert