Von Katharina Heckhoff
„Salsa ist ein Migrationsphänomen“, so María Isabel Gaviria, Dozentin für spanische und portugiesische Literatur in ihrem Vortrag der Romanistik-Ringvorlesung am 10. Juni. Bereits der Titel „Die politische Dimension des Salsa“ schlug eine Brücke zwischen Musik, Geschichte und Migration. Salsa sei „nicht nur ein musikalisches, sondern auch ein kulturelles Produkt transnationaler Bewegungen“, betonte Gaviria. Ihren Ursprung habe die Musik in Kuba, wo bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Elemente der Stilrichtungen Son, Danzón, Mambo und Rumba miteinander verschmolzen. Die Verbindung afrikanischer und spanischer Musiktraditionen brachte jene rhythmischen Strukturen hervor, die später das Fundament des Salsa bildeten. Mit der Migration kubanischer Musiker in den 1960er- und 1970er-Jahren nach New York wurde Salsa weiterentwickelt, war von der Dozentin zu erfahren. Neben dem Rhythmus ist auch der Kontrapunkt ein wichtiges Element der Salsamusik. Dieses Prinzip kombiniert und präsentiert zwei oder mehrere voneinander unabhängige Stimmen oder Melodien miteinander. „Verschiedene Einflüsse laufen parallel und dennoch entsteht eine harmonische Einheit“, so Gaviria. „Salsa ist Ausdruck von Widerstand und gesellschaftlicher Realität“. Immer wieder wurde dieses Medium genutzt, um auf „soziale Ungleichheiten, Rassismus und politische Missstände aufmerksam zu machen“, erläuterte die Dozentin.
Gaviria setzte sich mit Nicolás Guilléns Gedichtband „West Indies Ltd“ aus dem Jahr 1934 auseinander. Guillén war ein bekannter kubanischer Schriftsteller und Nationaldichter. Ohne selbst Musiker gewesen zu sein, bringt er in seiner Lyrik die kulturelle Vielfalt Kubas zum Ausdruck, die auch der Salsamusik zugrunde liegt. In „West Indies“ adressiert er „die Lebensumstände der afrokaribischen Bevölkerung, insbesondere in Kuba, und betont die soziale Ungleichheit sowie die tiefergreifenden Auswirkungen der Kolonialisierung“, so Gaviria. Ebenfalls beschäftigte er sich mit der Sklaverei und sozialer Ungleichheit. „Guillén würdigte die Widerstandsfähigkeit der afrokaribischen Bevölkerung, die versucht habe, ihre Traditionen auch unter widrigsten Lebensbedingungen zu bewahren.“
Eine ähnliche Thematik findet sich in „La Rebelión“ des kolumbianischen Sängers und Komponist Joe Arroyo aus dem Jahr 1986. „La Rebelión“ ist eine musikalische Erzählung, die an ein verdrängtes Kapitel der Sklaverei in der Geschichte erinnert. Arroyo schildert das Leben der dunkelhäutigen Menschen in der Sklaverei in Cartagena, Kolumbien, und thematisiert explizit die Gewalt, die sie erlitten. „Im Mittelpunkt des Liedes steht die Reaktion eines afrikanischen Mannes auf die Misshandlung seiner Frau“, so Gaviri. „Es kommt zum Aufstand.“ Dieser ist allerdings nicht wörtlich als historisches Ereignis zu verstehen. In Lateinamerika gilt das Lied als bedeutendes kulturelles Zeugnis. Es ist ein Symbol für Stolz, Mut, Identität und für den Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Rassismus in der lateinamerikanischen Musikgeschichte.
Ein weiteres Beispiel ist „Plantación Adentro“ von Rubén Blades und Willie Colón aus dem Jahr 1977. Wie Gaviria betonte, bezieht sich „das Lied auf das Jahr 1745 und thematisiert die harten Lebensbedingungen, den Tod und die koloniale Ausbeutung von Plantagearbeiter*innen in Lateinamerika.“ Im Fokus steht die Tötung Camilo Manriques durch die Schläge des Bürgermeisters. Der diensthabende Arzt erklärte den Tod fälschlicherweise als natürlichen. Gaviria erläuterte dazu: „Manrique wurde ohne jegliche Anteilnahme begraben und erhielt lediglich ein einfaches Holzkreuz als Grabbeigabe.“ Die unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Menschen auf den Plantagen lebten und arbeiteten, werden angeklagt.
Die rhythmischen Klänge der Salsamusik erfüllten den Raum und durchbrachen für einen kurzen Moment die sonst so akademische Stille in Hörsälen. Es kam Bewegung in die Reihen. Einige der Studierenden begannen sich im Takt der Musik auf ihren Stühlen zu bewegen, andere wippten mit ihren Füßen. Es ging nicht nur um Musik, sondern um Gesellschaft und Rebellion im Klang. Gaviria fasst es pointiert zusammen: „Salsa heißt übersetzt: gegen amerikanische Kolonisierung, für menschliche Beziehungen und soziale Gleichheit.“ Die Veranstaltung zeigte, dass Salsa Geschichten erzählt. Geschichten von Menschen, die Unterdrückung, Misshandlung und Ausbeutung erfahren mussten. Geschichten von Mut, Widerstand und Überleben. Am Ende bleibt der Eindruck einer Musik, die nicht nur bewegt, sondern auch aufrüttelt. Oder wie es Rubén Blades in „Pedro Navaja“ formulierte: „La vida te da sorpresas, sorpresas te dae la vida.“ – „Das Leben gibt dir Überraschungen, das Leben überrascht dich.“