Von Jannika Kreutz
„Ein Studium in allen Studiengängen ist nach wie vor möglich.“ Ben Kahl von der Stabsabteilung Studium, Lehre, Weiterbildung, Qualitätssicherung der Justus-Liebig-Universität (JLU) betonte bereits Anfang Juni, also zu Beginn des nun fast abgeschlossenen Sommersemesters, dass der Umbruch zum Onlinesemester gut gelungen sei. Aufgrund der Corona-Pandemie sei es zu zahlreichen Änderungen im Lehr- und Lernbetrieb gekommen.
Wie die Auswirkungen von Corona auf den Universitätsalltag der JLU genau aussahen und wie eine Onlinelehre umgesetzt werden konnte, wurde im Interview mit vier Fachkräften und vier Studierenden untersucht. Erhöhte Arbeitsbelastungen seien vorhanden, erklärt Ben Kahl. Für die Planung des Wintersemesters könnte so aber Erfahrung gesammelt werden. Die Studierendenzahl habe sich im Vergleich zum Vorsemester nicht maßgeblich geändert. Es gibt aktuell circa 28000 Studierende an der JLU. Eine schnelle technische Koordination, die notwendig war und auch noch ist, wurde als problematisch empfunden. Zusatzbelastungen gebe es jedoch nicht nur auf Seiten der Lehre, die über 90 Studiengänge in jeder möglichen Kombination versorge, so Ben Kahl. Auch Studierende mussten sich an die neuen Gegebenheiten anpassen.
Cornelia Schneider, Koordinatorin des Forums Sprachen & Kulturen am Zentrum für fremdsprachliche und berufsfeldorientierte Kompetenzen (ZfbK), gibt an, dass Vorgaben des Hochschulrechenzentrums bezüglich der Wahl von Tools für die digitale Lehre befolgt werden müssen. Das schließe einige Plattformen und Webkonferenzsysteme aus, jedoch hätten die Lehrkräfte bei der Nutzung unbekannter Systeme hilfreiche Unterstützung durch das kurzfristig ins Leben gerufene Kompetenzteam Digitale Lehre erfahren. Nicht alle geplanten Kurse, für welche das Forum Sprachen & Kulturen zuständig ist, wurden umgesetzt. „80 Sprachkurse waren geplant, 50 konnten stattfinden.“ Von 30 externen Dozenten seien etwa 20 dazu bereit gewesen, sich an ein Online-Lehrangebot zu wagen, so die Koordinatorin. Auch die Anmeldungen für Kurse seien beschränkt worden, da die Betreuungszeit pro Person bei einer digitalen und asynchronen Lehre deutlich erhöht sei. Die beiden Lehrkräfte Grazia Caiati (Sprachkurse für Italienisch, UNIcert®– Beauftragte) und Dr. Ulrike Nespital (Rhetorik und Mediation) setzten ihre Veranstaltungen in diesem Semester teilweise als Blocktermine um. „Folien werden eingeblendet, Referate werden von Studierenden aufgenommen und hochgeladen oder in Live-Sitzungen eingeblendet, anschließend werden diese dann besprochen“, erklärt Dr. Ulrike Nespital. Was zunächst unproblematisch erscheint, hat jedoch auch Nachteile. Grazia Caiati ergänzt, dass es stellenweise zu Hemmungen bei der spontanen Kommunikation kommt: Die Studierenden scheinen im Online-Gespräch mitunter zurückhaltender als in Präsenz. Die Bereitschaft zu schriftlichen Aufgaben sei dafür erhöht. Es kommen allerdings technische Schwierigkeiten hinzu. „Es ist problematisch, wenn die Studierenden bei Sprachkursen keine Kamera haben, denn Gestik und Artikulation werden im kommunikativen Sprachunterricht mitbewertet.“
Für einen Teilnahmeschein oder einen Leistungsschein ohne Note wird auf Portfolios zurückgegriffen. Präsenzprüfungen werden nur in Erwägung gezogen, wenn ein Leistungsschein mit Notenangabe erbracht oder ein UNIcert®-Zertifikat erworben werden soll.
Auch die vier befragten Studierenden sehen sich mit einem Mehraufwand und ungewohnten Situationen konfrontiert. Sie kommen aus unterschiedlichen Lehrämtern oder sind Teilnehmer an Kombinationsstudiengängen.
„Das Online-Semester ist stressiger, eindeutig. Der organisatorische Aufwand ist hoch, allein schon, weil man sich nicht immer sieht“, berichtet Annika Schroetter, eine Studierende der Germanistik. Inhaltlich seien die Anforderungen jedoch nicht belastender als sonst. Fabian Geibel, ein L3 Student, erlebt in einem seiner Fächer, Mathematik, derzeit mehr eigenständige Arbeit. Insgesamt empfindet er den Arbeitsaufwand jedoch als angemessen. Larissa Hugargowitsch berichtet hingegen von deutlich mehr Abgaben in ihren Fächern Deutsch und Englisch: „Ich habe zwei- bis dreimal mehr Abgaben als normal. Ich brauche auch mehr Vor- und Nachbereitungszeit als im normalen Semester. Fahrtwege fallen weg, dafür gibt es mehr Arbeit“. Die Einstiegsphase wurde von allen befragten Studierenden als am schwierigsten bewertet – insbesondere wegen der Videositzungen und der Abgabefristen. Jannis Holzhausen erläutert, dass er wegen des Mehraufwands sein Lateinstudium abbrechen musste. Die Aufgabenbalance sei nicht länger mit Nebenjobs vereinbar. „Es gibt eine sehr unterschiedliche Handhabung in den Fachbereichen.“ Sein Studium in Musik L3/L2 und Deutsch L3 konnte er problemlos fortsetzen.
Benötigte Kurse waren zumeist belegbar, teils hat die Kapazität jedoch nicht ausgereicht oder der Beginn wurde verschoben. Die allgemeine Qualität der besuchten Veranstaltungen wurde überwiegend als gut bis sehr gut eingestuft. Zwei der Studierenden befürworten einen baldigen Wiedereinstieg in die Präsenzlehre. Die anderen beiden halten diesen noch nicht für sinnvoll. Alle Befragten wünschten sich für das Wintersemester mehr Zeit für die Vorbereitung und Organisation sowie eine zuverlässige technische Umsetzung. Denn wie auch immer das kommende Wintersemester aussehen wird: Digitale Lehre wird sicherlich das Seminarangebot stark prägen.