Quelle: DLA Marbach

von Lea Kunz und Sebastian Ernst

Eine Exkursion ins Deutsche Literaturarchiv Marbach (DLA) im Stuttgarter Umland bietet nicht nur die Möglichkeit autographische Schriftstücke bekannter Autor*innen kennenzulernen, sondern bedarf auch der Vorbereitung. Zur Einstimmung lernten die Seminarteilnehmer*innen im Vorfeld die Grundlagen des Recherchetools Kallías des DLA kennen. Während des dreitägigen Aufenthaltes in Marbach wurde dann mit den Originalmaterialien vor Ort eigenständig an den Projekten gearbeitet. Untersucht wurden, ausgehend von Alfred Andersch, die Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Nelly Sachs und Wolfgang Koeppen.

Der erste Tag – die Spannung steigt …

Erwartungsvoll und von den Baustellen der Autobahnen um Stuttgart gebeutelt, erreichten mehrere Wagen die Schillerhöhe in der Stadt Marbach am Neckar. So verregnet der Tag bis dahin auch gewesen sein mochte, umso größer mögen die Erwartungen der Student*innen gewesen sein.

Der Ankunftstag aber spielte sich nicht im Archiv ab. Es galt zunächst das Schiller-Nationalmuseum zu besichtigen, welches sich in dem spätbarock anmutenden kleinen Schloss auf der Schillerhöhe befindet und seinem gelockten Namensgeber alle Ehre erweist. Ein anderer Teil der Ausstellung widmete sich modernerer Literatur. Seien es Briefe bekannter Autor*innen wie Ingeborg Bachmann oder Paul Celan oder mit der Schreibmaschine geschriebene Manuskriptseiten von Autor*innen der vergangenen Jahrzehnte. Es sind die Kuriositäten, die hier in Erinnerung bleiben. Erich Kästners Emil und die Detektive, auf nur vier Papierseiten zum Beispiel, stenographisch vom Autor selbst verfasst, oder Martin Mosebachs Kapitelskizzen zu einem seiner Romane – blaue Tinte in winzig-kleiner Schrift, ohne auch nur den kleinsten Freiraum auf dem Papier zu lassen. 

Vom passiven Beobachter zum forschenden Germanisten … die Archivarbeit

Das Programm der folgenden beiden Tage fokussierte sich dann auf die eigentliche Seminararbeit mit den Handschriften des Archivs.

Am zweiten Tag machte eine informative Führung durch das Archivgebäude dabei den Anfang und bot den Student*innen zahlreiche Perspektiven: von Einblicken in die geschichtliche Entwicklung der Schillerhöhe und des Archivs selbst bis über die Auswahl- und Verwaltungsprozesse der Autorennachlässe. Auch die alltäglichen Arbeitsabläufe, wie die Aufarbeitung und Arbeit mit den Dokumenten, wurden bei einer Tour durch die Regal- und Kästen-Landschaft im Keller des Archivgebäudes anschaulich. Die Mitarbeiter*innen des Archivs kümmern sich zum Beispiel neben der (präventiven) Konservierung und Restaurierung des Bestands auch um die digitale Bestandserhaltung und die Pflege von Exponaten.

Anschließend konnten sich die Student*innen selbst im Handschriftenlesesaal mit ihren Arbeitsmaterialien beschäftigen. Vor Ort lagen diese nach einer persönlichen Bestellung zur Ansicht bereit und konnten mit Blick auf die verschiedenen Fragestellungen rund um Alfred Andersch und die Menschen in seinem beruflichen und privaten Umfeld untersucht werden. Die Möglichkeit, bei der Arbeit auch einmal die Originale solcher Briefwechsel in den Händen zu halten, bot das Gefühl einer kleinen Zeitreise und ist definitiv auch für Germanistikstudent*innen eine Besonderheit!

Ganz nebenbei versuchten sich alle Anwesenden auch in der Deutung unleserlicher Handschriften und machten sich vertraut im Umgang mit den filigranen Dokumenten und deren sachgemäßer Behandlung.

Nach einem langen Arbeitstag konnten dann am Abend alle kulinarischen Wünsche erfüllt werden. Die charmante und sehenswerte Umgebung abseits der Aktenkladden unweit der Marbacher Schillerhöhe bot dabei einen zusätzlichen Ausgleich.

Am dritten Tag der Exkursion konnten noch einmal die bestellten Handschriften unter die Lupe genommen werden, um diese in weitere Projektarbeiten einzubinden. 

Den Autoren auf der Spur – was bleibt?

Was bleibt nun aber vom Archiv? Verstaubte Briefe, empfindliche Durchschläge und der Mief der Jahrzehnte – nein, es sind die Persönlichkeiten hinter Büchern und bekannten Werken, denen man in Marbach auf die Schliche kommen konnte. Nicht selten erhielten die Student*innen dabei einen exklusiven Einblick in die Arbeit und den Zeitgeist des Literaturbetriebs der 1950er bis 1970er Jahre. Und da nun Zeitreisen noch nicht möglich sind, ist es vor allem die Quellenarbeit, mit der man in Marbach Brücken zum Vergangenen bauen kann. Und eines darf man bei der Arbeit mit Archivalien nicht vergessen: Hinter jedem augenscheinlichen Cold Case einer Autorenbiographie finden sich zwischen unscheinbaren Dokumenten vielleicht auch Dinge, die man so noch nicht gesehen und gelesen hat.

Das Literaturmuseum der Moderne hat ein ganz besonderes Ausstellungsstück, welches per Zufallsprinzip etwas dichtet, wobei jedes Mal etwas anderes dabei herauskommt. Enzensberger selbst kommentiert sein Stück mit folgenden Worten: „Wer nicht besser dichten kann als diese Maschine, der soll es bleiben lassen.“.