… im Kontext des Hohelied-Seminars

von Charlotte Isenberg

Im Rahmen des Mediävistik-Seminars Cussermih mit cussesinesmundes. Frühe deutsche Übertragungen des Hohelieds sollte uns neben der Betrachtung und Analyse diverser Rezeptionen und Textvarianten eine Überraschung erwarten. Unsere Dozentin, Prof. Cora Dietl, schlug vor, dass wir im Laufe des Semesters eine kurze Exkursion nach Darmstadt einplanen könnten, um in der Bibliothek der dortigen Universität einen Blick auf die Originale einiger Handschriften zu werfen und mit diesen zu arbeiten. Dieses Vorhaben fügte sich hervorragend in den Kontext des Seminars ein, welches mit einer allgemeinen Einführung zum Hohelied begann.

Oberflächlich betrachtet handelt es sich bei dem Hohelied um eine Sammlung von romantischen und teilweise erotischen Liebesliedern, in welchen ein Mann und eine Frau abwechselnd ihre gegenseitige Liebe und Sehnsucht zum Ausdruck bringen. An dieser Stelle kann man sich fragen, was ein solcher Text im Alten Testament zu suchen hat – bis der Begriff der Allegorie ins Spiel gebracht wird. Die besonders bildhaften Beschreibungen innerhalb des Hohelieds ermöglichen verschiedene Betrachtungsebenen und münden nicht selten in ein Verwirrspiel, um wen es sich bei den auftretenden Protagonisten (vor allem im christlichen Kontext) wirklich handelt.

Um die bereits existierenden Deutungen näher kennenzulernen, betrachteten wir im Laufe des Semesters verschiedene Versionen und Kommentare zum Hohelied– zum Beispiel die Expositio in Cantica Canticorum, die erste Übersetzung aus dem Lateinischen ins Althochdeutsche von Williram von Ebersberg (um 1060). Weiterhin befassten wir uns mit der Fassung des Leideners Williram (um 1100), wobei es sich hier um eine dialektale, nicht exakte Abschrift der ursprünglichen Übersetzung handelt.

Am 7. Juni 2019 sollten wir endlich dem Darmstädter Williram (15. Jh.) begegnen. Auf unterschiedlichen Wegen begaben wir uns am Morgen auf die Reise nach Darmstadt. Am Eingang der Universitäts- und Landesbibliothek wurden wir freundlich empfangen und durch ein Labyrinth der uns unbekannten Räumlichkeiten in den Bereich der Handschriftensammlungen geführt. Zwei Mitarbeiter der Abteilungen Historische Sammlungen und Bestandserhaltung, die uns während der Sichtung betreuen sollten, händigten uns zum Schutz der wertvollen Handschriften Einweghandschuhe aus und erläuterten den nun folgenden Ablauf. Neben der eigentlichen Betrachtung der Texte erfuhren wir so auch einiges über den korrekten Umgang mit den Werken. Beispielsweise informierte man uns, dass die Bücher möglichst nacheinander in Augenschein genommen werden sollten, um sie nicht allzu lange dem hellen Licht und der erhöhten Luftfeuchtigkeit auszusetzen. Selbst das Umblättern wurde größtenteils von dem umsichtigen Mitarbeiter übernommen, welcher die für uns relevanten Seiten mit schweren, samtig anmutenden Schnüren fixierte.

Inhaltlich gesehen wurde uns durch den Besuch in Darmstadt ein direkter Vergleich im Hinblick auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Versionen der Abschriften ermöglicht. Die Arbeit an einer originalen Handschrift entfaltete eine völlig andere Wirkung, als es eine einfache Kopie in einem Raum am Phil. I in Gießen gekonnt hätte. Die Betrachtung der Originale war nicht nur beeindruckend, sondern hat – neben den Einblicken in die anspruchsvolle Arbeit der für die Handschriften zuständigen Mitarbeiter*innen – ein tieferes Bewusstsein für den Wert der Schriften und die Bedeutung der Untersuchungen innerhalb unseres Seminars und darüber hinaus geschaffen.