1989 begann Moritz Rinke in Gießen am Institut für Angewandte Theaterwissenschaften (ATW) zu studieren. Dessen „Konzept einer Akademie in einer Universität“, reizte ihn so sehr, dass er „sogar Gießen in Kauf“ nahm, so Rinke auf der Alumni-Seite der JLU. Gießen war für den jungen Studenten aus Worpswede anfangs „eine Großstadt“, wie er in der Gießener Allgemeinen erklärt,  und Institutsgründer Andrej Wirth bald ein Mentor. „Er lehrte uns das selbstverständliche Auftreten von Theaterleuten“, erzählt Rinke im Gespräch mit Theaterwissenschaftlerin Petra Polte-Picker. 

Wirth, ein polnisch-amerikanischer Theaterwissenschaftler und -kritiker, hatte die ATW wenige Jahre zuvor 1982 gegründet. Damit hatte Gießen den ersten Studiengang im deutschsprachigen Raum, in dem theaterwissenschaftliche Theorie und künstlerische Praxis kombiniert wurden. Die Vorliebe Wirths und der ATW für das abstrakte, postdramatische Theater konnte Rinke aber nicht teilen. Stattdessen setzte er auf Figuren, die aus „aus dem Leben“ gegriffen wirkten. Mit dieser Alltagsnähe bewege er sich bewusst „in die andere Ecke“, so Rinke zu Bolte-Picker. Nebst dem Gegenwartsautor brachte die ATW mit Schriftsteller und Regisseur Tim Staffel, Filmemacher Oliver Hardt und dem Leiter der Rowohlt-Theaterabteilung Nils Tabert noch weitere große Namen der Künstlerszene und des Literaturbetriebs hervor.

Auch heute noch ist die ATW deutschlandweit eine Besonderheit. Bekannt ist das Institut unter anderem für die halbjährlich wechselnde künstlerische Gastprofessur. Sie intensiviert den Austausch mit Künstler*innen aus den Bereichen Theater, Tanz, Performance und Film. Zudem finden regelmäßig drei Festivals statt, die von den Studierenden selbst organisiert werden: die Theatermaschine, das Diskurs-Festival und das Instant-Festival. Rinke selbst verewigt die ATW unter anderem in seinem Zeitungsartikel Zwei Päpste und ein Mädchen und hält generell im Weser-Strand fest: „In Gießen konnte man sich zum Genie ausbilden lassen“. 

Siehe auch: 

Quellen: 

Jouini, Sascha: Persönlicher Rückblick mit Humor. In: Gießener Allgemeine Zeitung, 18.10.2019: https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/persoenlicher-rueckblick-humor-13132958.html (29.06.2021)

Institut der Angewandten Theaterwissenschaften: 

Alumnis der JLU Gießen: https://www.uni-giessen.de/fbz/zentren/zfbk/alumni/karrierewege/kulturundsport/rinke (29.06.2021)

Weser-Strand (2018): Zu Gast: Moritz Rinke. Episode 11: https://www.youtube.com/watch?v=ebc_mv1diWA (29.06.2021)

Bolte-Picker, Petra: Den Widerstand studieren. Moritz Rinke und der Zufall des Schreibens. In: Bremer, Kai (Hg.): «Ich gründe eine Akademie für Selbstachtung.»: Moritz-Rinke-Arbeitsbuch. Frankfurt a.M.: Peter Lang 2021, S. 90-197. 

Rinke, Moritz: Zwei Päpste und ein Mädchen.  –  In: Tagesspiegel vom 30.09.2013: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/kolumnen/kolumne-rinke/erinnerungen-an-die-gegenwart-zwei-paepste-und-ein-maedchen/8858788.html (07.07.21), später (überarb.) in: Rinke, Moritz: Erinnerungen an die Gegenwart. Köln: Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2014, S. 170-172. 

Wieseck – ein Ort vieler erster Male

Foto: Elif Cengiz, To Uyen Nguyen

Während seines Studiums wohnte der Autor im Stadtteil Wieseck zur Miete. Später schleicht sich wiederholt ein fiktives Wieseck in seinen Erzählungen ein. So spielt der Ort eine Rolle für seinen schöpferischen Findungsprozess in seinen Brief an Max Frisch, den er in Gießen verfasste. In Moritz Rinke über Wieseck ergreift der Autor im literarischen Stadtführer selbst das Wort und erzählt von seinen Erinnerungen über Liebeskummer, Schicksalsschläge und eigenwilligen Eiscafébegegnungen mit politischen Größen. 

Der Vorlass – Etwas Rinke bleibt Gießen auch heute

Hätte die städtische Architektur Rinke auch nie in Gießen halten können, so kommt er doch immer wieder zurück. Denn dank der Bemühungen von Literaturwissenschaftler Kai Bremer befindet sich Rinkes Vorlass seit 2015 in Gießen. Student*innen erhalten hier die Chance, in die Arbeitswelt des Autors einzusteigen und zum Beispiel frühe Fassungen seines Bestsellerromans Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel zu untersuchen – oder Liebesbriefe. „Manchmal denke ich schon, um Gottes Willen, wer hat denn den gelesen“, kommentiert das Rinke im Weser-Strand-Interview und schlägt die Hand vor die Augen.

Siehe auch:

Quelle:

Alumnis der JLU Gießen: https://www.uni-giessen.de/fbz/zentren/zfbk/alumni/karrierewege/kulturundsport/rinke (29.06.2021)

Weser-Strand (2018): Zu Gast: Moritz Rinke. Episode 11. Moderator: Axel Brüggemann. https://www.youtube.com/watch?v=ebc_mv1diWA (29.06.2021)

Vorlass Moritz Rinke: http://www.ub.uni-giessen.de/ueber-uns/sam/nachlaesse/mrinke