Von Hannah Heuper

Das ZMI ist nun 20 Jahre alt, doch das Gebäude, in dem es sich befindet, ist wesentlich älter und hat eine bewegte Geschichte vorzuweisen. Claus Leggewie und Henning Lobin, Gründungsmitglieder des ZMI, erzählen in einem lockeren Gespräch von der Nutzung als Unigebäude der JLU in den 1920er Jahren, dem Margarete-Bieber-Saal, der an die erste Professorin an der Gießener Universität erinnert, der Nutzung des Gebäudes nach dem Zweiten Weltkrieg als Amerikahaus und schließlich der Gründung des ZMI im April 2001. Das ZMI, erklären die beiden, sei von Anfang als interdisziplinäres Zentrum der JLU gedacht gewesen, das – auch räumlich – unabhängig von den Fachbereichen existierte, was sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringe. Katrin Lehnen, die Geschäftsführende Direktorin, bezeichnet das ZMI als „Denkraum“, in dem interdisziplinäres Denken und Arbeiten gelebt werde. Das sei schon immer so gewesen, erklärt Lobin; bei der Gründung des Zentrums seien verschiedenste Bereiche zusammengekommen, von der Fachjournalistik Geschichte bis hin zur Agrarwissenschaft. So seien mit der Zeit die Sektionen entstanden, die unterschiedliche Forschungsschwerpunkte setzten. Das Internet habe dabei auch damals schon eine große Rolle gespielt, doch habe man es mit großer Naivität betrachtet. Leggewie, der zum Gründungszeitpunkt gerade von einem Auslandsaufenthalt in den USA zurückgekehrt war, bemerkt, dass ihm aufgefallen sei, wie anders der Umgang mit dem Internet Anfang der 2000er in den USA gewesen sei und dass er versucht habe, den amerikanischen Ansatz im ZMI anzubringen. Die Anwesenden, darunter auch Greta Olson und Jutta Hergenhan, gehen in ihrem Gespräch auch auf die Nutzung des Internets durch verschiedene Generationen – Stichwort digital natives – ein.

Im intensiven Gespräch. V.l.n.r.: Katrin Lehnen, Claus Leggewie, Jutta Hergenhan, Henning Lobin und Greta Olson.
Foto: Hannah Heuper

Schließlich kommt die Sprache auf den Dezember 2019, in dem die gesamte JLU, und damit auch das ZMI, Opfer eines Hackerangriffs wurde, ein denkbar harter Schlag für ein Zentrum, das sich mit interaktiven digitalen Medien beschäftigt. Die Internetverbindung ist unterbrochen, alle Plattformen sind vollständig offline, es ist unklar, welche (Forschungs-)Daten verloren gegangen sind, die digitale Kommunikation ist unmöglich… Eine der Teilnehmenden erinnert sich, dass die Lehrenden plötzlich wieder anfingen, einander Zettelchen in die Fächer zu legen, um miteinander zu kommunizieren. Dann, der Hackerangriff ist noch nicht vollständig überwunden: die Coronapandemie. Vollständig digitale Lehre. Nachdem also erst, so Leggewie, die Vulnerabilität und Abhängigkeit, die durch die Nutzung des Internets und digitaler Medien entsteht, sichtbar geworden sei, kam der abrupte Wechsel in den „superdigitalen Alltag“. Er wünscht sich, dass, statt einfach weiterzumachen, überlegt werden soll, welche Lehren man aus beiden Ereignissen für den Lernort Uni ziehen könne. Was kann durch digitale Medien ersetzt werden? Und was nicht? Vor allem für die neueren Studierenden sieht er Probleme, da diese mit dem „normalen“ Ablauf an der Uni noch gar nicht vertraut seien.

Lobin, der „JLU offline“ nicht selbst miterlebte, ist der Meinung, dass durch derartige Vorfälle die infrastrukturelle Seite des digitalen Betriebs und die heutige, sehr datenorientierte Arbeitsweise in den Fokus rücke. Keinen Zugriff mehr auf Materialien zu haben, die nur digital existieren, stelle gerade Forschende bei ihrer Arbeit vor gewaltige Probleme und zeige die hohe Abhängigkeit von derartigen Medien.

Auch Olson bezeichnet die vergangenen und anhaltenden Verhältnisse als Zeit der Fragilität und Unsicherheit, die starken Einfluss auf die Psyche der Menschen habe. In Hinblick auf feminist und queerstudies weist sie zudem darauf hin, dass die Coronakrise beispielsweise die Gleichstellung um Jahre zurückgeworfen habe. Umso wichtiger sei es, trotzdem Formen der Solidarität und des Widerstandes zu finden.

Abschließend stellt Hergenhan die Frage, was den Beteiligten wichtig wäre, wenn sie das ZMI heute noch einmal neu gründen würden. Würden sie etwas verändern?

Leggewie erklärt, er würde es tatsächlich „genau so wieder machen“. Die Naivität, die in vielen Dingen anfangs an den Tag gelegt worden sei, sehe er als etwas Positives, als die Fähigkeit zu staunen. Dies solle der „spirit“ sein, der eine fröhliche Wissenschaft ermögliche. Olson wünscht sich, gamestudies als Erforschung eines gesellschaftlichen Austauschs in die Arbeit aufzunehmen, Lehnen schlägt eine Dachterasse mit Bar vor, sowohl symbolisch als auch praktisch gemeint, wie sie erklärt. Denn das ZMI sei für sie immer schon ein Ort gewesen, um „anders nachzudenken und mit netten, interessanten Leuten zusammenzuarbeiten“. Auch Lobin schätzt diese Kooperativität und Kollegialität am ZMI besonders, wünscht sich jedoch noch eine bessere strukturelle Einbettung in die Universität, die mehr Gleichberechtigung und Mitbestimmung ermöglichen würde.

Teilnehmer*innen: Claus Leggewie (Ludwig-Börne-Professur, Gießen); Henning Lobin (Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, Mannheim); Prof. Katrin Lehnen (Institut für Germanistik, JLU Gießen); Greta Olson (Institut für Anglistik, JLU Gießen)

Moderation: Dr. Jutta Hergenhan (Wissenschaftliche Geschäftsführerin ZMI Gießen)