Von Mira Felten

„Lieber 3000 Menschen, die Sport treiben – als 3000, die nur zuschauen.“ Mit diesem Satz bringt Tobias Erben, Leiter des Sportamtes Gießen, das übergeordnete Ziel des jüngst entwickelten Sportentwicklungsplans auf den Punkt. Die im Jahre 2023 begonnenen Maßnahmen des kommunalen Projekts stützen sich auf das Bestreben, Bewegungsräume für alle Bevölkerungsgruppen zu schaffen. Zugänglichkeit, Niedrigschwelligkeit, lebenslange Begleitung sind die Leitideen für ein umfassendes Bewegungsangebot. Der Sportentwicklungsplan der Universitätsstadt Gießen beinhaltet die Teilbereiche ungedeckte Sportanlagen sowie Freiluft- bzw. Outdoor-Aktivitäten. Die Betrachtung vom Teilbereich gedeckte Sportanlagen (z. B. Sporthallen) erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt. Demnach gehe es bei der Planung nicht darum, dem Sanierungsstau bestehender Sportstätten nachzukommen, so Erben. Vielmehr werden Bedarfe und Potentiale ganzheitlich in den Blick genommen: Welche bewegungs- und sportbezogenen Angebote gibt es bereits? Wo gibt es Lücken oder Zugangsbarrieren? Welche Bedürfnisse haben Bürgerinnen und Bürger für ihr persönliches Sporttreiben und wie kann diesen nachgegangen werden?

Um diese Leitfragen allseitig anzugehen, wurden seit 2023 unterschiedliche Akteure hinzugezogen: Sportvereine, Schulen, Hochschulen, der Ausländerbeirat, die Gleichstellungsstelle, Umwelt- und Gartenämter, selbstorganisierte Gruppen sowie Bürger*innen. Die Beteiligung lief u. a. über Online-Befragungen, aber auch über direkte Gespräche mit Akteur*innen vor Ort. Ziel war es, nicht nur die organisierte Sportlandschaft abzubilden, sondern auch den stark wachsenden Bereich des informellen Sports zu erfassen. Eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des Plans spielt die Justus-Liebig-Universität, darunter auch der Allgemeine Hochschulsport und das Institut für Sportwissenschaft: „Welche Trends beobachtet die JLU, was zeigt das Institut für Sportwissenschaft in der Forschung zum lebensbegleitenden Sporttreiben – das hilft uns enorm.“

Doch wo liegt das Interesse der Stadt begründet, selbstorganisierten Sport zu fördern? Dazu äußert Erben: „Auf einem Schulhof traf sich regelmäßig eine Gruppe vor jungen Erwachsenen, um an Regenrinnen und Metallvorsprüngen ihre Kräftigungsübungen durchzuführen. Nachdem sie von Seiten der Stadt darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Statik der Überdachung dies nicht hergibt, wurde in gemeinsamer Zusammenarbeit der Calisthenics-Park am Schwanenteich geplant und schlussendlich errichtet.“ Da die Trainingsgruppen auch eine Möglichkeit für den Winter benötigten, gab es erneut Gespräche mit der Stadt. Nach einem Austausch über verschiedene Möglichkeiten entschieden sich schließlich 80 Personen, dem ortsansässigen Turnverein beizutreten. Durch ihre Mitgliedschaft erhielten sie den Zugang zu Hallenzeiten im Winter, eine Versicherung und feste Trainingszeiten: „Eine Öffnung kann sich also für beide Seiten lohnen.“

Es zeichnet sich ein Trend ab: Erhebungen zeigen, dass rund 70-80% der Bevölkerung Sport treiben, jedoch nur ca. 20% davon im Verein. Der Großteil nutzt öffentliche Räume für Jogging, Fitness oder Mannschaftssport. Genau an dieser Stelle setzt der Sportentwicklungsplan an, mit dem Ziel, die vorhandenen Flächen an die Bedürfnisse der Nutzenden anzupassen. Der Abschlussbericht, der in der Gießener Stadtverordnetenversammlung am 3. Juli 2025 zur Abstimmung vorgelegt wurde, dient dabei nicht nur als Planungsgrundlage, sondern auch als Kompass für alle Beteiligten. Bewegung ist hier nicht nur Ziel, sondern gleichzeitig Weg und Mittel einer aktiven Stadtgesellschaft. 

„Zurecht tragen Großstädte, wie Frankfurt, München und Köln den Titel einer Sportstadt“, so Erben. Eine Sportstadt definiert sich durch eine starke Förderung des Spitzensports mit nationalen und internationalen Sportevents. Gießen jedoch setzt auf ein anderes Profil. „Statt mit 3000 Menschen auf der Tribüne einer Halle zu sitzen, um 10 Menschen beim Sporttreiben zuzuschauen, sollen lieber 10 Menschen zuschauen, während 3000 Menschen Sport treiben“, betont der Leiter des Sportamtes weiter. Der Sportentwicklungsplan ist auf Langfristigkeit bis 2040 ausgelegt. Die Stimmen interessierter Bürger*innen sind hier immer willkommen. „Das Konzept ist jedoch kein Wunschzettel für den Weihnachtsmann“, erwähnt Erben.

Was es aus der jetzigen Planung vom Papier in die Gießener Stadtlandschaft schafft, entschied sich am 3. Juli in der Stadtparlamentssitzung. Das Team des Entwicklungsplans hofft auf eine Fortbewegung Gießens – ganz im Sinne des Leitbildes: niedrigschwellig, multifunktional und wohnortnah.