Von Sophie Alles
Gießen. „Es ist immer schwierig. Wenn man noch keinen Langfilm hat, wird man eigentlich gar nicht als Autorin wahrgenommen und kriegt keinen Job.“ Mit dieser ehrlichen Einschätzung gab Drehbuchautorin Nicole Armbruster Einblick in die Herausforderungen ihres Berufs. Im Rahmen eines Workshops an der Justus-Liebig-Universität sprach sie am 6. Dezember im Margarete-Bieber-Saal vor Studierenden der Sprach- und Literaturwissenschaft sowie allen anderen Interessierten über ihre Arbeit, Texte in Filme zu verwandeln. Als praktisches Beispiel nutzte Armbruster das von ihr geschriebene Drehbuch zu Christian Barons gefeiertem Roman Ein Mann seiner Klasse (2020). Die Veranstaltung wurde von Prof. Katrin Lehnen und Dr. Norman Ächtler geleitet.
Nicole Armbruster, geboren und aufgewachsen in einem kleinen Dorf im Schwarzwald, fand ihren Weg in die Drehbuchwelt durch Zufall: „Ich war erst Fremdsprachensekretärin“, erklärte sie. Als sie dann ihr Abitur nachgeholt hatte, stellte sich für sie ganz neu die Frage, was sie werden wolle: „Ich habe ein Buch über das Drehbuchschreiben gelesen, fand es super, hatte aber von nichts Ahnung.“ Daraufhin studierte sie bis 2008 Drehbuch in Potsdam-Babelsberg an der Hochschule für Film und Fernsehen. Anschließend vertiefte sie ihre Kenntnisse in der Drehbuchwerkstatt München sowie in Programmen wie dem European Film Development Program Babylon und der Winterclass Serial Writing. Heute arbeitet sie seit mehr als 20 Jahren hauptberuflich als freie Drehbuchautorin und ist bekannt für preisgekrönte Werke wie „Festung“ (Thomas Strittmatter Drehbuchpreis 2010) und „Freistatt“ (Emdener Drehbuchpreis 2012, Deutscher Drehbuchpreis 2013, Prix Genève 2015).
Als sie über die Vielseitigkeit ihres Berufs sprach, konnte Armbruster vor allem eines sagen: „Es ist im wahrsten Sinne des Wortes Leidenschaft.“ Der Spaß liege darin, dass man sich in jede Geschichte einlesen müsse. „Man ist mit jedem Stoff in einer neuen Welt“, stellte sie fest. Zugleich sei der Erfolg des Schreibprozesses stark vom Team abhängig. Sie berichtet von tollen Zusammenarbeiten, sie habe aber ebenso negative Erfahrungen gemacht, beispielsweise, wenn das Arbeitskollektiv nicht harmonierte. Besonders herausfordernd sei der Umgang mit unterschiedlichen Auffassungen. Wenn der Regisseur eine andere Vorstellung habe als der Drehbuchautor, sei es schwierig, sich durchzusetzen. „Er steht ja am Set und muss das vertreten, auch vor den Schauspielern“, betont Armbruster. In der Regel sei es daher besser, die Version des Regisseurs zu übernehmen, auch wenn das bedeutet, eigene Ideen aufzugeben. Mittlerweile suche sie jedoch gezielt die Kooperation mit Regisseur*innen, mit denen sie bereits kreative Erfolge erzielt habe.
So sei auch die Arbeit an der Verfilmung von Ein Mann seiner Klasse (2024) entstanden. Marc Brummund habe sie gefragt, ob sie das Drehbuch übernehmen wolle. Der autobiografische Roman erzählt von Barons Kindheit in Kaiserslautern in den 1990er Jahren: von seinem prügelnden Vater, seiner depressiven Mutter, dem Aufwachsen in Armut und der Erfahrung männlicher Gewalt. Was es heißt, als Jugendlicher Außenseiter in der Klasse zu sein. Was von all den Erinnerungen bleibt. Und wie es ihm gelang, seinen eigenen Weg zu finden.
Für Nicole Armbruster waren drei Punkte bei der Umsetzung äußerst wichtig gewesen: die Vater-Sohn-Geschichte, der innere Konflikt des Jungen und sein Bildungsaufstieg. Aufgrund der schwierigen Thematik habe sich das Team daher dazu entschieden, eine glückliche Szene, die eigentlich in der Mitte des Buches zu finden ist, an den Filmanfang zu setzen. „So schön wird es nie wieder“, merkte Armbruster an und wies damit auf den späteren, düsteren Verlauf der Erzählung hin. Während der Drehbuchentwicklung seien zahlreiche Anpassungen vorgenommen worden. Christian Baron sei dabei stark involviert gewesen und habe zu jeder Zeit sein Vetorecht behalten. Allerdings habe der Autor selbst sehr filmisch gedacht und Kürzungen zugestimmt, um dem Film einen Fokus verleihen zu können. „Es landet sehr viel im Müll, was man schreibt“, gestand Armbruster. Insgesamt habe es elf Fassungen gegeben. Szenen wurden verdichtet oder fusioniert, Figuren verlagert oder ausgelassen. So sei die Anzahl der Geschwister im Film von vier auf drei reduziert worden, da es mit Kinderschauspielern aufgrund der Drehzeitregelungen ohnehin schwierig sei, lange zu filmen. „Die Kinder müssen raus“, scherzte sie mit Blick auf Barons Romanverfilmung, was die Zuhörer*innen mit einem Lachen quittierten. Schwierigkeiten gehören jedoch zum Entstehungsprozess. Aus der Not heraus würden Dinge zwar anders umgesetzt, jedoch entstünden dabei oft sogar bessere Ideen. Zum Beispiel musste die ursprünglich melancholische Tanzszene zwischen Christian und seiner Mutter wegen zu teurer Musikrechte in eine heitere umgewandelt werden. Diese Änderung verstärkte den dramatischen Effekt der darauffolgenden Szene, in der der Tod der Mutter betrauert wird.
Als freie Drehbuchautorin arbeitet Nicole Armbruster stets an mehreren Projekten gleichzeitig und beschäftigt sich dabei mit vielen unterschiedlichen Quellen, nicht nur mit Romanen. Eine ihrer aktuellen Arbeiten ist der Polizei-Thriller „Die Nichte des Polizisten“(so der Arbeitstitel), der auf den Untersuchungsakten zum ungeklärten Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter im Jahr 2007 basiert. In dieser Geschichte wird eine junge, ehrgeizige Frau mit rechtsextremen und kriminellen Verwicklungen innerhalb der Polizei konfrontiert. Die Dreharbeiten wurden Ende November 2024 abgeschlossen – nun bleibt abzuwarten, wann der Film in die Kinos kommt.