Ein Praktikum in der Öffentlichkeitsarbeit des Stadttheaters Gießen

Von Alice Volpe

Das Theater

Das Theater in Gießen ist eine Institution mit einer regen Geschichte. Die Erbauung geht zurück auf eine Bürgerinitiative Anfang des 20. Jahrhunderts, die eine feste Theaterspielstätte forderte. Das Besondere an dem Projekt? Für das neue Schauspielhaus spendeten Gießener Bürgerinnen und Bürger zwei Drittel der Baukosten. An das Engagement der Bevölkerung erinnert noch heute der Schriftzug „Ein Denkmal des bürgerlichen Gemeinsinns“ über dem Eingangsportal des Theaters.
Als zentrale kulturelle Institution erweist sich das Theater immer wieder als Ort der Begegnung. Neben den zahlreichen, klassischen Aufführungen für Jung und Alt werden Möglichkeiten geboten, das Theater hautnah mitzuerleben: seien es Workshops, Stadtspaziergänge durch Gießen, oder gar das Angebot, eine Pilzpatenschaft zu übernehmen. Mit seinen mehr als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in rund fünfzig verschiedenen Berufen bietet es auch hinter den Kulissen eine Vielzahl verschiedenster Arbeitsbereiche.

Das Stadttheater Gießen möchte besonders die Vielfältigkeit im Haus hervorheben. Dies wird durch immer wieder wechselnde Intendanzen gewährleistet. So ist nun seit der Spielzeit 2022/23 Simone Sterr sowohl Intendantin als auch künstlerische Leiterin. Auch ein neues Logo gibt es. Es besteht aus dem Wort Stadttheater vor einem Hintergrund aus „Kringeln“. Diese Kringel sind ganz besonders, denn sie werden durch einen Algorithmus erzeugt und sind somit stilisierte Wörter.Das neue Design des Logos lässt so viel Spielraum für Wandlung – jedes Wort bekommt einen eigenen „Kringel“ und somit ist auch das Profil des Stadttheaters nicht statisch – ebenso wie seine Stücke. Neu und alt werden verbunden; Tanz ist nicht nur klassisch, sondern experimentell. Dies zeigt auch ein Zitat auf der Website: „Der Tanz und sein Ensemble am Stadttheater Gießen verstehen sich als Plattform für vielfältige zeitgenössische Bühnensprachen, die den Körper in das Zentrum ihres Schaffens stellen.“

Die Voraussetzungen für ein Praktikum am Theater

Als leidenschaftliche Theatergängerin war es für mich ein Traum, hinter die Kulissen zu blicken und einmal in diese Welt zu schnuppern. So bewarb ich mich im Sommer 2023 für ein Praktikum in der Öffentlichkeitsarbeit. Nach einiger Zeit erhielt ich eine nette E-Mail von Harry Weiss, dem Leiter der Kommunikation, für ein Bewerbungsgespräch. Er empfing mich am Bühneneingang, bot mir das freundliche „Du“ an und stellte mich seiner Kollegin Sandra Ihrig vor, der Referentin für Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Das Bewerbungsgespräch verlief locker, wir tauschten uns aus über Vorstellungen wie das Praktikum verlaufen könne und Herr Weiss erklärte mir wie ein Tagesablauf in der Öffentlichkeitsarbeit aussehen könnte. Die Frage nach einem Alltag jedoch ist schwer zu beantworten, denn kein Tag ist wie der andere. Sicherlich war es von großem Vorteil, dass ich durch verschiedene Nebenjobs in der Öffentlichkeitsarbeit schon Erfahrung in das Theater mitbrachte, denn ich bewarb mich für eine sehr intensive Zeit, so Herr Weiss. Während meines Bachelors der Germanistik mit den Nebenfächern Anglistik und Politik beschäftige ich mich mit den verschiedensten kulturwissenschaftlichen Themenkomplexen, auch die Analyse von Dramen und deren gesellschaftlichen Zusammenhängen spielen eine signifikante Rolle in meinem Studium – und der Tätigkeit in der Öffentlichkeitsarbeit. Ich denke, die einzige, tatsächliche Voraussetzung für ein Praktikum ist das Interesse an Theater und der künstlerischen Auseinandersetzung mit Politik und der Gesellschaft. Es ist nicht unbedingt notwendig, bereits in der Sparte gearbeitet zu haben. Das Theater ist eine kunterbunte Mischung aus zahlreichen Lebenswegen, Erfahrungen und Ideen. Alle bemühen sich, die richtige Praktikumsstelle für Interessentinnen und Interessenten zu finden.

Die Entdeckung des Theaters

Von außen mag man es kaum glauben, jedoch ist das Stadttheater Gießen ein sehr großer Gebäudekomplex mit Verwinkelungen, zahlreichen Gängen und Zimmern. So bestand eine der Hauptaufgaben in meiner ersten Woche darin, das Gebäude zu entdecken und im Kopf eine Karte der wichtigsten Orte zu erstellen: Wo befindet sich die Requisite? Wo sitzt die Intendanz? Wie komme ich vor, auf oder hinter die Bühne? Wo sind Probenräume oder die Maske?
Neben mir arbeiteten noch vier weitere junge Menschen in der Öffentlichkeitsarbeit, die mir immer mit Rat und Tat zur Seite standen und mir das Haus zeigten. Wir teilten uns ein kleines Büro, mussten uns dann und wann mal absprechen, wenn wir telefonierten oder jemand gerade Ruhe für konzentriertes Arbeiten brauchte; doch dies erschuf eine unglaublich familiäre Atmosphäre. Wir konnten nicht bloß professionell miteinander umgehen, auch der private Umgangston war wertschätzend und zuvorkommend.

Der Wochenrhythmus

Kein Tag war wie der andere und keine Woche glich der letzten. Es gab jedoch Termine, die in einem regelmäßigen Rhythmus stattfanden:
Jeden Montag fand eine sogenannte „Montagsrunde“ statt. Wir tauschten uns über gesehene Theaterstücke aus und planten die Woche. Diese Runden empfand ich als besonders wichtig, um in die Woche zu finden und transparent zu machen, wer welche Aufgaben übernimmt, was konkret ansteht und wie dringlich einige Angelegenheiten bearbeitet werden müssen oder was vielleicht im Ablauf geändert werden muss. Ein besonderes Thema aus diesen Runden war die Vorbereitung einzelner Postings auf den sozialen Medien. Ich kümmerte mich unter anderem um eine Story, die einen Countdown zu dem Stück „Apokalypse Miau“ beinhaltete. Dieser sollte nicht nur die Premiere des Stückes ankündigen – sondern ebenfalls den bevorstehenden Weltuntergang; denn darum geht es in „Apokalypse Miau“.

Diese Montagsrunde schien zugleich getaktet und ein freundschaftlicher Austausch zu sein.
Dienstags trafen wir uns in einer größeren „Marketingrunde“. Diese war deutlich formeller: Harry Weiss lud uns stets einige Tage zuvor durch eine ausdrückliche Einladung per E-Mail mit der Tagesordnung im Anhang ein. Zu dieser Runde trafen sich das Team der Öffentlichkeitsarbeit, Simone Sterr, eine Vertretung der jeweiligen Sparten (Tanz, Schauspiel, Junges Theater) und die Dramaturginnen und Dramaturgen. Die Themen waren deutlich umfassender als in den kleineren Runden der Öffentlichkeitsarbeit. Es ging zum Beispiel um die Umsetzung von Premierengeschenken oder um Content-Hinweise in den unterschiedlichen Stücken, wenn Formen von physischer oder psychischer Gewalt eine Rolle spielen. Der Spielplan oder auch die erforderlichen Korrekturen für die Programm-Leporellos wurden besprochen.
Ich denke, hier muss ich einiges genauer erklären. Beginnen wir mit den Premierengeschenken: Für jede Premiere bereitet die Öffentlichkeitsarbeit kleine Geschenke vor, die an die Mitwirkenden des Stücks verteilt werden. Für das Stück „In decent times“ war es zum Beispiel ein Grundgesetz mit selbstgemachtem Umschlag. Die „Lepos“ sind die Leporellos, auf denen der Monatsspielplan des Stadttheaters veröffentlicht wird. Dieser liegt an allen zentralen Orten in Gießen aus (ebenso im AStA der JLU), sodass alle jederzeit die Möglichkeit haben, sich diesen abzuholen und eine Übersicht über die jeweiligen Stücke zu erhalten.

Meine Aufgaben

Zugegeben, durch die Vielfältigkeit und Spontanität des Theaters ist es kaum möglich lediglich ein Aufgabengebiet zu benennen, das mir zugeteilt wurde. Ich hatte die Möglichkeit, bei allen Arbeiten rund um die Organisation von Theaterstücken und zentralen Aktionen der Öffentlichkeitsarbeit mitzuwirken. Besonders in den ersten Wochen nahm ich an Sitzungen zu der Organisation der Hessischen Theatertage 2024 teil, erstellte Reels für Instagram und schrieb Pressetexte unter anderem für das Familienmagazin „Grashüpfer“.

Zu Beginn der zweiten Woche unterstützte ich Sandra Ihrig als Fotografin bei einem Treffen mit dem Stadttheater und der Brüder-Grimm-Schule in Gießen. Beide gingen eine enge Kooperation ein, die anschließend so auch auf Instagram geteilt werden sollte. Auf der anderen Seite unterstütze ich auch beim Aufbau einer Requisite für ein Fotoshooting oder besuchte eine Probe zu „Apokalypse Miau“.
 Meine größte und definitiv kreativste Aufgabe war die Planung und Durchführung der Bewerbung des sogenannten „Extrachors“ des Stadttheaters. Dieser unterstützt den professionellen Chor maßgeblich und sucht aktuell neue Sängerinnen und Sänger. Herr Weiss wünschte sich hierfür sowohl ein Bewerbungsvideo auf den Social-Media-Kanälen des Stadttheaters als auch auf der Website. Also begann ich mit der Planung des Videos: Ich schrieb ein Skript, entschied, dass ich gerne zwei junge Menschen interviewen möchte, die dem Extrachor beigetreten sind und überlegte mir Fragen. Dann plante ich den konkreten Aufbau des Videos, organisierte, mit welchem Videoschnittprogramm ich schließlich arbeiten möchte und plante, wie das Video am Ende exakt aussehen soll.

Im nächsten Schritt interviewte ich Price und Freya und schnitt die gesammelten Rohfassungen der Videos. Im Anschluss suchte ich nach lizenzfreier Musik, um das Video zu untermalen und erstellte zuletzt eine gerenderte MP4 Version des fertigen Videos, um es dann mit dem Team zu besprechen. Am Ende des Prozesses nahm ich noch einige kleine Änderungen vor, fertigte ein Transkript für die Website an und erstellte noch einen kurzen Trailer für die Social-Media Auftritte. Dieser gesamte Prozess erforderte drei Wochen meines Praktikums, in denen ich immer wieder an diesem Projekt arbeiten und meiner Fantasie freien Lauf lassen konnte. Selbstverständlich erhielt ich zwischenzeitlich auch andere Aufgaben, wie das Erstellen von Pressemitteilungen für abgespielte Stücke oder Premieren, die in den Zeitungen besonders beworben werden sollten. Hier fand insbesondere mein germanistisches Wissen Anklang. „Abgespielt“ meint hier Stücke, die im Repertoire des Stadttheaters enthalten waren, nun jedoch nicht noch einmal aufgenommen werden oder ein letztes Mal in dieser Spielzeit gezeigt werden.

Förderung von Kreativität

Bei der Erstellung der Werbung für den Extrachor wurde mir viel Freiraum zugesprochen. Ich durfte meine Ideen immer eigenständig umsetzen. Auch wenn ich sie zwischenzeitlich über Bord warf und andere Möglichkeiten der Realisierung in Augenschein nahm, wurde dies immer wieder durch meine Kolleginnen und Kollegen unterstützt. In meinem kreativen Prozess wurde ich wertgeschätzt und gefördert. Dies ist, denke ich, die wichtigste Erkenntnis und zugleich die wichtigste Erfahrung während meines Praktikums: Es ist nicht nur von großer Bedeutung, Menschen in ihrem Schaffen zu beobachten und in die Vielfalt des Theaters zu schnuppern, ebenso wichtig ist es, sich selbst ausprobieren zu dürfen und damit die Möglichkeit zu erhalten, erste kreative Prozesse anzuregen oder weiterzuentwickeln. Sei es im video- und fotografischen Bereich oder in der Erstellung und Bearbeitung von Texten.

Jedoch ist die Arbeit im Theater keineswegs leicht – es ist wichtig, flexibel auf Veränderungen oder spontane Einfälle eingehen zu können. Besonders das russische Stück „Eugen Onegin“ sorgte während meines Praktikums für Kontroversen. Aufgrund des derzeitigen Angriffskriegs Putins auf die Ukraine gab es auf den sozialen Medien Menschen, die nicht verstehen konnten, wieso wir noch russische Stücke spielen wollen. Das Theater entschied sich jedoch bewusst dafür und wir in der Öffentlichkeitsarbeit trugen diese Entscheidung nach außen.

Das Profil des Stadttheaters in Gießen zeichnet sich insbesondere durch seine Sparten und der Tatsache aus, dass nicht nur „alte“ und hundertfach gesehene Stücke wie Faust, Romeo und Julia oder dergleichen gespielt werden. Im Gegenteil: Simone Sterr ist es wichtig, junge Künstlerinnen und Künstler zu fördern und somit insbesondere neue Stücke zu spielen oder alte zu interpretieren. So geschah es bei Xerxes: Die Oper erhielt in dieser Spielzeit einen neuen Look.

Mein Fazit

Summa Summarum kann ich das Praktikum im Stadttheater Gießen nur wärmstens weiterempfehlen! Das gilt sowohl denjenigen, die schon ganz genau wissen, dass sie kulturell künstlerisch arbeiten wollen, als auch denjenigen, die noch zweifeln oder vielleicht sogar noch gar keine genaue Richtung für ihre weitere Zukunft sehen.