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Von Hannah Heuper

Streamingdienste wie Netflix und Amazon Prime boomen, vor allem Serien sind beliebt. Aber wer schreibt die eigentlich? Warum werden die Drehbuchautor*innen so oft übersehen, obwohl es ohne sie keine Serie und keinen Film gibt? Die Wichtigkeit des Drehbuchschreibens betonen sowohl Dr. Norman Ächtler als auch die Autorin Annette Hess in dieser zweigeteilten Veranstaltung – Ächtler in Hinblick auf die Vergangenheit, Hess im Hier und Heute.

Kathrin Lehnen (l.) und Norman Ächtler sprechen mit Annette Hess über die Schwierigkeit, einen Roman in ein Drehbuch zu verwandeln.
Foto: Hannah Heuper

Filme, die wiederum Filme und das Drehbuchschreiben thematisieren, gibt es schon lange, das wird in Ächtlers Vortrag „Schreibszenen – Eine kurze Geschichte des Drehbuchschreibens in Geschichten“ deutlich. Urban Gads Stummfilm „Die Filmprimadonna“ (1913) führt er als „ältestes Zeugnis eines Films über das Filmemachen“ an. Dieses Beispiel , so Ächtler, gebe einen Einblick in den damaligen „State of the Art der Filmproduktion“. Auch die Weiterentwicklung der Textsorte des Drehbuchs und des Berufsbilds „Drehbuchautor*in“ werden nachgezeichnet. So wurde etwa die Skriptproduktion im Laufe der Zeit arbeitsteiliger und effizienter gestaltet und die Rolle der Drehbuchautor*innen scheinbar in den Hintergrund gedrängt. Dieser Umstand, so Ächtler, wurde in diversen Filmen kritisiert, die sich mit Autor*innenfiguren auseinandersetzten, die sich in den 50er und 60er Jahren gegen die Ausbeutung ihres Berufsstandes auflehnten. Als Beispiele führt er unter anderem „Hail, Caesar!“ (2016) und „Trumbo“ (2015) an. In Deutschland, erklärt er abschließend, habe die Gründung des „Verbands deutscher Drehbuchautoren“ 1986 zu einer Stärkung des Berufsbildes geführt. Auch die Selbstverpflichtung „Initiative Kontrakt 18“, die 2018 von zahlreichen renommierten deutschen Drehbuchautor*innen unterzeichnet wurde, verfolge das Ziel, diesen mehr kreative Kontrolle und Mitspracherecht bei der Regie zu verschaffen.

Die deutsche Schriftstellerin und Drehbuchautorin Annette Hess. Zu ihren bekanntesten Schöpfungen zählen die Serien „Weissensee“ und die „Ku’damm 56“.
Foto: Medienagentin – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=50634570.

Zu den Unterzeichner*innen zählt auch Annette Hess, Drehbuchautorin bekannter Produktionen wie „Weissensee“ und der „Ku’damm“-Reihe. Im Podiumsgespräch erzählt die 55-Jährige unter anderem von ihrer Herangehensweise an ein neues Projekt. Eigentlich, so Hess, wolle sie nichts aus ihrem eigenen Leben erzählen, das sei ihr „zu nah“. Beim Schreiben merke sie dann aber jedes Mal, dass das Projekt irgendwie doch viel mit ihr zu tun habe. „Ku’damm 56“ beispielsweise sei durch Erzählungen ihrer Mutter über ihr eigenes Leben und das ihrer Freundinnen in den 50er und 60er Jahren inspiriert, die Protagonistin Monika etwa basiere auf einer realen Person.

Immer wieder greift Hess in ihren Projekten die Nachkriegszeit auf, erprobt aber auch neue Ausdrucksformen jenseits des Films: „Deutsches Haus“ (2018) ist ihr erster Roman. Er handelt von einer jungen Frau, die beim ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt als Dolmetscherin arbeitet. Zu den 40er Jahren habe sie selbst keinen Bezug, erklärt Hess, zu den 60ern schon, weshalb sie sich auf diese Zeit und die damalige Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit Deutschlands konzentriere. Diese zeige sie gern am Beispiel prototypischer Familien – auch, weil dadurch deutlich werde, dass es „unser aller Familien“ waren, die in dieser Zeit lebten und das Bild der „unschuldigen Deutschen“ nicht realistisch sei. Dokumentarische Filme, betont Hess, wolle sie jedoch keine machen.

In Zusammenhang mit „Deutsches Haus“ erklärt die Autorin, dass sie sich hier „ausnahmsweise“ für die Romanform entschieden habe, da sie das Thema auf diese Weise vertieft aufgreifen konnte. „Das kann mir dann auch nicht aus der Hand genommen werden, auch ästhetisch.“ Nun wird der Roman aber doch als Fernsehserie umgesetzt, was natürlich eine Überarbeitung des Textes erfordert. Die inneren Vorgänge der Figuren, die im Roman beschrieben werden, müssten nun in Bilder und Handlungen übersetzt werden, erklärt Hess, ein Hund, der in einer Szene auftauche, würde vermutlich aus Kostengründen „rausgeschrieben“ werden. Was im Roman langsam aufgebaut werden könne, müsse im Film schneller gehen.

Auf die Frage, ob Drehbuchautor*innen eigentlich Künstler*innen seien, antwortet Hess, sie selbst würde sich definitiv als Künstlerin beschreiben und setze sich dafür ein, dass das Drehbuchschreiben auch allgemein als Kunstform anerkannt werden soll. Sie wünscht sich, dass Kunsthochschulen Studiengänge zu diesem Thema anbieten, da dies ein wichtiges Zeichen setzen würde. Denn, so Hess, an Filmhochschulen werde das Drehbuchschreiben immer noch vernachlässigt. Das sei ihr auch in ihrer eigenen Studienzeit aufgefallen. Gerade im jetzigen „Goldenen Zeitalter“ für Serien sei es wichtig, „besondere“ Autor*innen zu fördern, denn „konfektionierte Serien werden uns irgendwann zum Hals raushängen“ und das Bedürfnis nach originellen Serien wieder wachsen.Gerade das Schreiben über Geschichte sei wichtig, um ein Bewusstsein für die (eigene) Vergangenheit und das Sprechen darüber zu schaffen. Die Rezeption sei dabei generationsabhängig: Die Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (2021), deren Drehbuch Hess ebenfalls schrieb, habe das Publikum merklich gespaltet. Sie habe Hassmails von Personen bekommen, die das Original kannten und die neue Version ablehnten, erzählt Hess. Junge Menschen hingegen hätten die Serie eher positiv aufgenommen, denn „sie sehen das, was für sie heute gültig ist“. Ihrer ethischen Verantwortung sei sie sich durchaus bewusst, sie wolle zeigen, dass es in jedem Menschen Abgründe gebe, dass diese aber auch nicht grundlos existierten. Caterina Schöllack, die Mutterfigur in „Ku’damm“ erscheine als Monster, doch erfahre das Publikum nach und nach die Gründe für ihr Verhalten. Tatsächlich habe sie diverse Nachrichten von Personen erhalten, die erklärten, dass sie dank der Serie das Verhalten ihrer eigenen Mutter oder Großmutter besser verstehen gelernt hätten. Solche Rückmeldungen freuten sie immer sehr, sagt Hess, dann sei es ihr offenbar gelungen, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen, die Menschen wieder näher zusammenführen kann.

Redner*innen: Norman Ächtler (Institut für Germanistik, JLU Gießen); Annette Hess (Drehbuchautorin)

Moderation: Katrin Lehnen (Institut für Germanistik, JLU Gießen)

Teilnehmende: Carsten Gansel (Institut für Germanistik, JLU Gießen); Vadim Oswalt (Institut für Geschichtsdidaktik, JLU Gießen); Monika C. Rox-Helmer (Institut für Geschichtsdidaktik, JLU Gießen)