Von Sven Forcher
Studiert man Germanistik an der JLU Gießen, wird man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit innerhalb kurzer Zeit von der germanistischen Theatergruppe hören, welche Semester für Semester mehrere Aufführungen eines mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Theaterstückes einstudiert und aufführt. Was es jedoch genau mit dieser Theatergruppe auf sich hat, bleibt vielen Studierenden während ihrer Zeit auf der Universität trotzdem verborgen.
Diejenigen, welche sich während ihres Bachelor- oder Masterstudiums in das von Frau Dietl geleitete Theaterprojekt einwählen, erleben allerdings ein Seminar, welches sie für lange Zeit im Gedächtnis behalten werden – einmal wegen des zu bewältigenden Arbeitspensums, auf der anderen Seite jedoch auch durch den Spaß und die Möglichkeit, neue Seiten an sich zu entdecken.
Im Sommersemester 2019 hieß das von Frau Dietl angebotene Seminar Zwischen Teufeln und Mördern: Felix Büchsers„St. Meinrad“. Weiterhin wurde das Seminar als Theaterprojekt mit einer anschließenden Exkursion nach Genua beschrieben, was knapp zwanzig Personen dazu brachte, zum ersten Termin des Seminars zu erscheinen.
Die Regeln des Seminars wurden von Frau Dietl schnell und präzise festgelegt: Jeder Teilnehmer hat eine kurze schriftliche Leistung zu erfüllen, die Mitarbeit während des Projekts spielt für die Endnote eine Rolle und (ganz entscheidend) jeder muss auf der Bühne stehen und eine Rolle während der vier Auftritte verkörpern. Obwohl diese Voraussetzungen dafür sorgten, dass fast die Hälfte der Studierenden zum zweiten Termin nicht mehr auftauchte, bildete sich eine engagierte Gruppe von zwölf Teilnehmern, welche gemeinsam das Meinradspiel zum Leben erwecken wollten.
Bei dem geplanten Stück handelte es sich um das erste gegenreformatorische Theaterstück der Schweiz aus dem 16. Jahrhundert, welches von Frau Dietl gekürzt und in ein modernes Deutsch übersetzt worden war.
Das erste Problem, vor dem die Teilnehmer des Seminars jedoch standen, war, dass es über zwanzig Rollen für die zwölf Studierenden und Frau Dietl gab, weshalb fast alle zwei oder sogar drei Rollen übernehmen mussten. Noch fühlte sich das Theaterprojekt jedoch wie ein gewöhnliches Seminar an. Man traf sich in wöchentlichen Abständen, las gemeinsam das Skript und sammelte Ideen für Kostüme und Aufführungsorte. All dies sollte sich jedoch ab der Mitte des Semesters ändern, denn wenn es etwas gibt, das ein Theaterprojekt von anderen Seminaren unterscheidet, dann, dass der Premierentermin immer wie ein Damoklesschwert drohend über dem Kurs hängt.
Und hier begann die Arbeit wirklich extrem zu werden. Trotz enormer Hitze, trotz Feiertagen, Sonntagen oder Krankheiten traf sich der Kurs jede Woche mehrmals um die Szenen immer und immer wieder zu üben. Natürlich wäre es eine glatte Lüge zu behaupten, dass sich zu dieser Zeit kein Frust unter den Teilnehmern breit machte und kurz vor der Aufführung waren viele der Meinung, dass es wirklich zu viele Proben seien, die sie durchzustehen hätten, obwohl diese allesamt zeigten, wie nötig sie waren.
Der Tag der Premiere sorgte somit für einige Aufregung, denn noch wirkte niemand wirklich davon überzeugt, dass das Stück fehlerfrei über die Bühne gehen würde.
Letztendlich musste jeder Teilnehmer zugeben, dass es auch während dieser ersten Aufführung Fehler gab. Hier und dort wurde ein Satz vergessen, manchmal funktionierte die Technik nicht und Requisiten mussten kurzfristig gesucht werden. Praktisch fielen diese Fehler jedoch niemandem im Publikum auf und der Auftritt wurde, wie alle anderen, zu einem großen Erfolg. Natürlich gab es immer wieder Schwierigkeiten und Patzer, beim zweiten Auftritt stürzte zum Beispiel der Hauptdarsteller in einen Tümpel, doch selbst dies konnte von der Gruppe überspielt werden, so dass einige Zuschauer dachten, dass es sich hierbei um einen gewollten Sturz gehandelt hätte. Mit jedem Auftritt wurde jedoch klar, dass dieses Projekt etwas bieten konnte, was anderen Seminaren fehlte: Man lernte unter Druck vor Publikum zu spielen, seine Leistung zu bringen, sich gegenseitig zu helfen, zu beruhigen, einzuspringen, wenn Fehler gemacht wurden und sich nicht nur für die eigene Note zu interessieren, sondern die gesamte Gruppe zu fördern. Während man ansonsten nebeneinander studiert und sich für sich und einige Freunde interessiert, gelang es in diesem Theaterprojekt eine Gemeinschaft zu bilden, die füreinander da war.
Zum Abschluss des Semesters kam dann noch die Exkursion nach Genua und die Teilnahme an der dort stattfindenden Tagung der STIM (Société Internationale pour l’étude du Théâtre Médiéval), auf welcher in vielen interessanten Vorträgen über das Theater des Mittelalters geredet und diskutiert wurde. Die Tagung wurde dabei durch Auftritte mehrerer Studentengruppen aus verschiedenen Teilen der Welt aufgelockert, worunter sich natürlich auch die Theatergruppe des Instituts für Germanistik der JLU befand.
Natürlich blieb neben der Tagung noch genug Zeit, Genua zu genießen – in der Freizeit gehörten Strand- und Museumsbesuche, gemeinsames Essengehen und Shoppen wie auch das Feiern in der Gemeinschaft zur Tagesordnung. Als wir zurück nach Deutschland flogen, bereute niemand mehr all die Arbeit, die wir in dieses Seminar und Projekt gesteckt hatten. Denn am Ende hatte sich alles gelohnt.