Das Projektseminar rund um die Exkursion in das Deutsche Literaturarchiv Marbach bildete zuerst eine Grundlage für die dortige Archivarbeit. Neben zentralen historischen und theoretischen Aspekten, Arbeitsweisen und Erkenntniszielen literaturwissenschaftlicher Quellen- und Archivarbeit standen dabei auch Kompetenzen zur selbständigen Erarbeitung und Durchführung von quellenbasierten Forschungsprojekten im Fokus.
Zur konkreten Ausführung der Recherche lernten die Seminarteilnehmer*innen im Vorfeld die Grundlagen des Recherchetools Kallias des DLA kennen. Während des dreitägigen Aufenthaltes in Marbach wurde dann mit den Originalmaterialien vor Ort eigenständig an den Projekten gearbeitet. Untersucht wurden, ausgehend von Alfred Andersch, die Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Nelly Sachs und Wolfgang Koeppen. Die folgende Zeilen spiegeln dabei zusammengefasst ein Exkursions-Programm wieder, wie man an der JLU Gießen erleben kann.
Der erste Tag – Die Spannung steigt…
Erwartungsvoll und von den Baustellen der Autobahnen um Stuttgart gebeutelt, erreichten mehrere Wagen die Schillerhöhe in der Stadt Marbach am Neckar. So verregnet der Tag bis dahin auch gewesen sein mochte, umso größer mögen die Erwartungen der Student*innen der JLU gewesen sein. Unweit eines Wohngebietes gelegen, vermittelte das Literaturarchiv mit danebenliegendem Schloss und Schillermuseum, schon von weitem eine gewisse Imposanz. Auch das moderne Gästehaus, das sich Kollegienhaus nennen dürfte, verstärkte den Eindruck sich an einem besonderen Ort zu befinden.
Das Literaturarchiv selbst, ein Bau aus den 60er-Jahren, erinnerte von außen fast ein wenig an das Haus der Mathematiker der JLU. Weite Fenster im oberen Bereich, ließen nur in Ansätzen erahnen, welche Schätze sich in den unteren Archivräumen verbergen würden. Vielleicht lässt es sich mit einer Mischung aus dem Charme vergangener Zeit und der gleichzeitigen Aura eines öffentlichen Gebäudes am eingängigsten charakterisieren, das eben nicht ohne Betonfronten auskommt, dabei gleichzeitig versucht, durch breite Flure und geschwungene Fensterfronten, etwas von seiner Schwerlastigkeit aufzuheben.

Der Ankunftstag aber, spielte sich nicht im Archiv ab. Es galt zunächst das jugendstilhafte Schloss mit seinem Schiller-Museum zu besichtigen. Natürlich konnte man hier allerlei Büsten und Bilder des großen Literaten sehen. Auch ein Teil seiner Kleidung wurde nebst Schillerlocken ausgestellt. Schiller war der Popstar seiner Zeit, soweit moderne Begriffe greifen mögen jedenfalls. Seine Locke Gönnerzeichen, genetische Autogramme eines Dichters und Denkers, deren Herkunft häufig unklar ist. Was in den hohen Räumen des Schlosses aber besonders auffiel, das waren Manuskripte aus Schillers Leben. Auch historische Bücherausgaben beherbergten die großen Schaukästen. Ein erster Blick also auf historisches Material mit Quellenwert, jenseits von den gedruckten Ausgaben der Klassiker in den bekannten editierten gelben Büchlein, nichts für Bus und Bahn, sehr wohl aber für das Bewusstsein über Zeit und Vergänglichkeit. Ein anderer Teil der Ausstellung widmete sich modernerer Literatur. Seien es Briefe bekannter Autoren, wie Ingeborg Bachmann oder Paul Celan oder mit der Schreibmaschine geschriebene Manuskriptseiten von Autoren der vergangenen Jahrzehnte. Es sind die Kuriositäten, die hier in Erinnerung bleiben. Erich Kästners Emil und die Detektive, auf nur vier Papierseiten zum Beispiel, stenographisch vom Autor selbst verfasst, oder Martin Mosebachs Kapitelskizzen zu einem seiner Romane – blaue Tinte in winzig-kleiner Schrift, ohne auch nur den kleinsten Freiraum auf dem Papier zu lassen.
Dieser erste Archivtag, den die Gruppe am Abend dazu nutze, regionale Küche in einem Restaurant unweit des historischen Schillerhauses kennenzulernen, brachte einem nicht nur den Entstehungsprozess von Literatur näher, sondern die Menschen hinter dem Buch. Das Unmittelbare, das hinter jeder literarischen Veröffentlichung steht. Der Gedanke, die Schrift und der Entwurf von etwas, dass sich erst nach der Veröffentlichung in die Gedächtnisse von Millionen von Lesern einschreiben kann.
Vom passiven Beobachter zum forschenden Germanisten … die Archivarbeit
Das Programm der folgenden beiden Tage fokussierte sich dann auf die eigentliche Seminararbeit mit den Handschriften des Archivs.
Am zweiten Tag machte eine informative Führung durch das Archivgebäude dabei den Anfang und bot den Student*innen zahlreiche Perspektiven. Von Einblicken in die geschichtliche Entwicklung der Schillerhöhe und des Archivs selbst genauso, wie über die Auswahl- und Verwaltungsprozesse der Autorennachlässe. Auch die alltäglichen Arbeitsabläufe, wie die Aufarbeitung und Arbeit mit den Dokumenten, wurden bei einer Tour durch die Regal- und Kästen-Landschaft im Keller des Archivgebäudes anschaulich. Die Mitarbeiter*innen des Archivs kümmern sich zum Beispiel neben der (präventiven) Konservierung und Restaurierung des Bestands auch um die digitale Bestandserhaltung und die Pflege von Exponaten.
Anschließend konnten sich die Student*innen selbst im Handschriftenlesesaal mit ihren Arbeitsmaterialien beschäftigen. Diese waren nach einer Einführung in die Benutzung der Suchmaske des Archivs schon im Voraus in Gießen bestellbar und zugänglich.
Vor Ort lagen diese dann zur Ansicht bereit und konnten mit Blick auf die verschiedenen Fragestellungen rund um Alfred Andersch und die Menschen in seinem beruflichen und privaten Umfeld im Handschriftenlesesaal untersucht werden. Die Möglichkeit, bei der Arbeit auch einmal die Originale solcher Briefwechsel in den Händen zu halten, bot das Gefühl einer kleinen Zeitreise und ist definitiv auch für Germanistikstudent*innen eine Besonderheit!
So konnten die Student*innen zum Beispiel über den persönlichen Briefverkehr, die Bewertung von Manuskripten, dokumentierte Gehaltsverhandlungen, Terminabsprachen und sogar Postkarten einen Eindruck von der Arbeit Alfred Anderschs gewinnen. Ganz nebenbei versuchten sich alle Anwesenden auch in der Deutung unleserlicher Handschriften. Auch der Umgang mit den filigransten Dokumenten und deren sachgemäße Behandlung schuf eine Basis dafür mit den historischen Auszügen einer Autorenvergangenheit sachgemäß umzugehen.
Nach einem langen Arbeitstag konnten dann am Abend zwischen Döner, Pizza und Eis alle kulinarischen Wünsche erfüllt werden. Die charmante und sehenswerte Umgebung abseits der Aktenkladden unweit der Marbacher Schillerhöhe bot dabei einen zusätzlichen Ausgleich.
Am dritten Tag der Exkursion wurden noch einmal die bestellten Handschriften unter die Lupe genommen und dabei letzte Informationen für die Projektarbeiten gesammelt. Nachdem die verschiedenen Arbeitsgruppen bei einem letzten Treffen kurz ihre Ergebnisse der Archivarbeit besprechen konnten, machten sich die Teilnehmer*innen auf den Weg zurück in die mittelhessische Heimatstadt.
Den Autoren auf der Spur – Was bleibt?
Was bleibt nun aber von Archiv, verstaubte Briefe empfindliche Durchschläge und der Mief der Jahrzehnte – nein es sind die Persönlichkeiten hinter Büchern und bekannten Werken, denen man in Marbach auf die Schliche kommen konnte. Nicht selten erhielten die Studenten dabei einen exklusiven Einblick in die Arbeit und den Zeitgeist des Literaturbetriebs der 1950er bis 1970er Jahre. Und da nun Zeitreise noch nicht möglich sind, ist es vor allem die Quellenarbeit mit der man in Marbach Brücken zum Vergangenen bauen kann. Und eines darf man bei der Arbeit mit Archivalien nicht vergessen: Hinter jedem augenscheinlichen Cold Case einer Autorenbiographie finden sich zwischen unscheinbaren Dokumenten, vielleicht auch Dinge, die man so noch nicht gesehen und gelesen hat.
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