Von Christina Urban
Seit Anfang März stellt die Corona-Krise einen massiven Einschnitt in den Studienalltag dar. Insbesondere für Studierende mit Kind bedeutet die Situation eine erhebliche Belastung. Da die Regelbetreuung größtenteils wegfällt, bleibt vielen Studierenden keine andere Wahl, als Online-Lehre und Kinderbetreuung parallel zu organisieren.
In einem offenen Brief vom 24. April 2020 wandte sich eine Gruppe erziehungspflichtiger Lehramtstudierender direkt an den Universitätspräsidenten. In diesem schildern die Studierenden ausführlich die Problemlage hinsichtlich der mangelnden Betreuungsmöglichkeiten und den „zusätzlich gestellten Anforderungen und Erwartungen“ seitens der Dozent*innen. Reaktion gab es seitens des Zentrums für Lehrerbildung. Eine einheitliche Lösung wurde nicht vereinbart, jedoch wurden mögliche Nachteilsausgleiche individuell von den einzelnen Fachbereichen organisiert. Das Resultat sind verlängerte Bearbeitungszeiten, alternative Leistungsnachweise oder auch aufgeteilte Prüfungen. „Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal gewesen“, bemerkt Frau Schreiber von der Familienservicestelle des Studentenwerks in Gießen. „Es gibt Dozentinnen und Dozenten, die auch von sich aus flexibel und sensibel mit der Situation umgehen.“ Aber es gäbe eben auch Dozent*innen, die der Meinung seien, keine „Extra-Lösung“ ermöglichen zu müssen. Durch die Vorgabe von oben solle für alle ein Entgegenkommen ermöglicht werden.
Eine 28-jährige Lehramtstudentin mit zwei unter dreijährigen Kindern ist sich bewusst: „Sie können uns das Studium ja auch nicht schenken.“ Trotzdem sei der Workload ausgesprochen hoch und kaum bis gar nicht zu bewältigen. Veranstaltungen, die keine Möglichkeit einer analogen Klausur hätten, seien in Ersatzleistungen in Form von schriftlichen Ausarbeitungen umorganisiert worden. Zusätzlich zu den Ausarbeitungen seien jedoch auch wöchentliche Hausaufgaben einzureichen, für welche die Lehramtstudentin nur bedingt Zeit aufbringen könne. Aufgrund der wegfallenden Betreuungsmöglichkeiten, blieb ihr für die Bewältigung ihrer universitären Aufgaben lediglich die Zeit, in der die Kinder schliefen. Tatsächlich sei auch schon der Gedanke aufgekommen, sich zu exmatrikulieren. Neuen Mut bekam sie schließlich durch den Zuspruch seitens anderer Studierender mit Kind, denen es sehr ähnlich ergeht. Einige Betroffene schlossen sich zusammen, um gemeinsam einen offenen Brief an das Universitätspräsidium zu verfassen.
Den Mangel an Zeit sieht auch Frau Caputa-Wießner, Beraterin in der Zentralen Studienberatung (ZSB), als große Herausforderung. „Man kann nicht wissenschaftlich arbeiten oder wissenschaftliche Texte lesen, wenn man gleichzeitig noch für Kinder zuständig ist.“ Neben dem Zeitaspekt sei auch die finanzielle Situation als großer Belastungspunkt zu nennen. Dieser eskalierte vor allem dort, wo Jobs und Gehälter plötzlich wegbrachen. Die Angst um die existenzielle Lage sorge für zusätzlich emotionale Strapazierung.
In puncto Finanzen reagierte das Studentenwerk Gießen mit einer pandemiebedingten Aufstockung des Babysitterzuschusses – ein Versuch, die Belastung aufgrund fehlender Regelbetreuung abzufedern. Aber ohne Babysitter gäbe es auch keinen Babysitterzuschuss – so die Lehramtsstudentin. Normalerweise nehme sie für ihre Kinder eine regelmäßige Betreuungskraft in Anspruch. Da diese als Rentnerin zur Risikogruppe gehöre, stehe sie momentan nicht zur Verfügung. „Einfach mal schnell eine neue Babysitterin zu organisieren ist auch nicht so einfach,“ gibt die Lehramtstudentin zu bedenken. Es sei schließlich keine Garantie gegeben, dass ihre Kinder wiederum zwangslos Vertrauen zu einer fremden Person aufbauen können. Für eine Kennenlernphase sei aufgrund der Dringlichkeit kein Raum.
Frau Caputa-Wießner weist darauf hin, dass auch die – vor allem zu Beginn des Semesters – mangelhafte universitäre Anbindung nicht zu vernachlässigen sei. Denn auch eine gute Vernetzung und ein regelmäßiger Austausch mit Kommiliton*innen habe im Studium eine tragende Bedeutung. An dieser Stelle müssen Studierende mit Kind sowieso Abstriche in Kauf nehmen, da sie nun mal anders studieren.
Trotz allem berichtet die Lehramtsstudentin auch von Kommiliton*innen, denen die Situation scheinbar nicht so viel anhabe, weist aber auch darauf hin, dass es sich dabei in der Regel um Eltern mit bereits älteren Kindern handele. Außerdem lobt sie die Reaktion seitens des Faches Psychologie. Hier hätten die Dozenten entgegenkommend reagiert und die Prüfungen in zwei Teile aufgeteilt, die jeweils im August und Dezember zu absolvieren seien. Inzwischen habe die KiTa auch wieder geöffnet – wenn auch nur begrenzt als sogenannte „eingeschränkte Regelbetreuung“. Für Kommiliton*innen, deren Kinder bereits die Schule besuchen, stelle nun die Zeit der Sommerferien eine Herausforderung dar, die es zu meistern gilt, da die Ferienbetreuung voraussichtlich ausbleibe.