Von Anna Müller

Gespräche und sozialer Austausch sind Grundpfeiler des gesellschaftlichen Miteinanders. Durch sie teilen wir unsere Bedürfnisse und Gedanken mit. Doch was ist, wenn diese Möglichkeit verwehrt bleibt oder plötzlich verschwindet? Für viele Menschen ist genau das die Realität. Unterstützte Kommunikation (UK) kann diesen Personen mehr Teilhabe in ihrem Alltag verschaffen. Im Interview beantworten Jana Kuttner, klinische Linguistin, und Eva Schönemann, Heilpädagogin, alle Fragen rund um das Thema. Beide Expertinnen sind in der Beratungsstelle für UK der Lebenshilfe Gießen tätig und helfen dort Personen mit Schwierigkeiten bei der Lautsprache.

„UK umfasst alle Maßnahmen, die Menschen helfen, ihre kommunikativen Fähigkeiten zu erweitern“, erklärt Jana Kuttner. „Ziel ist es, die Teilhabe der Betroffenen zu verbessern.“ Zum Einsatz kommt das Konzept vor allem bei Klientinnen und Klienten, die nicht oder kaum sprechen können – sei es aufgrund einer entwicklungsbedingten oder erworbenen Schädigung. Das Fachgebiet etablierte sich ab den 80er Jahren vor allem in den USA unter dem Begriff „Augmentative and Alternative Communication“ (AAC) und gewinnt inzwischen auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung.

Zielgruppe der Beratungsstelle Gießen sind Personen jeden Alters, die Schwierigkeiten mit der Lautsprache haben. „Es geht darum, Menschen eine Stimme zu geben, die sonst nicht gehört werden“, sagt Jana Kuttner. Zweck der UK ist es immer, eine individuelle Lösung zu finden, die den Betroffenen hilft, sich auszudrücken und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Klientinnen und Klienten sowie die Ressourcen und Möglichkeiten des Umfelds der betroffenen Personen sind entscheidend für die Wahl der einzusetzenden Kommunikationshilfsmittel. Man unterscheidet drei Hauptkategorien: körpereigene Ausdrucksformen wie Mimik, Gestik und Lautsprache, nicht-technische Bereiche wie Fotos, Symbolkarten und Schrift sowie technische Hilfsmittel wie spezielle elektronische Kommunikationshilfen auf Tablet-Basis. Ein besonders innovativer Ansatz ist der Einsatz von Augensteuerungen. „Wir arbeiten immer multimodal“, betont Schönemann. Das bedeutet, dass verschiedene Kommunikationsmethoden kombiniert werden, um die Betroffenen bestmöglich zu unterstützen.

Ein zentraler Bestandteil der Arbeit in der Beratungsstelle ist das Modelling. „Personen mit Schwierigkeiten in der Lautsprache können den Umgang mit Kommunikationsmitteln nur dann effektiv erlernen, wenn ihre Umwelt dies vorlebt“, erklärt Kuttner. Das bedeutet, dass Hilfsmittel und -methoden von den Bezugspersonen aktiv modellhaft eingesetzt werden müssen, damit die Betroffenen selbst die funktionale Nutzung lernen können. Vergleichbar sei dieses Unterfangen mit der Sprachentwicklung kleiner Kinder. Diese eignen sich Sprache an, indem sie ihre engsten vertrauten Personen imitieren. „Sprache lernt der Mensch durch sein Umfeld“, betont die UK-Expertin.

Weiterhin arbeiten Kuttner und Schönemann systemisch. Das heißt, dass neben der kommunizierenden Person, die unterstützt werden soll, zusätzlich Angehörige – das sogenannte „System“ – angeleitet werden. „Wir beraten das Umfeld dahingehend, wie die Kommunikation oder der Einsatz von Hilfsmitteln so gestaltet werden, dass die Klientin oder der Klient optimal partizipieren kann“, so Eva Schönemann.

Die Lebenshilfe Gießen bietet sowohl Erstberatungen als auch langfristige Begleitungen an. Im Rahmen der Erstberatung wird eine Anamnese – die Aufzeichnung der Beschwerden und (Leidens-)Geschichten – erstellt und so der Behandlungsbedarf festgestellt. Es gibt aber auch langfristige Begleitungen. Um unabhängige Kommunikation tatsächlich zu erreichen, werden in einem Interventionsplan kleinschrittige Maßnahmen vereinbart. Gegebenenfalls werden Anpassungen vorgenommen. „Kommunikationsförderung ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein fortlaufender Prozess“, fügt Kuttner hinzu.

Die Expertinnen berichten von verschiedenen erfolgreichen Beispielen, in denen UK den Alltag der Klientinnen und Klienten erheblich verbessert hat. Ein Junge mit einer fortschreitenden Erkrankung konnte durch eine sprechende Taste erstmals wieder an seinem Alltag teilnehmen und sich in den Morgenkreis der Schule einbringen. Diese kleinen Fortschritte, die von außen nicht immer als spektakulär wahrgenommen werden, sind für die betroffenen Menschen jedoch von enormer Bedeutung. „Manchmal sind es nur kleine Stellschrauben, die eine große Wirkung haben können“, berichtet Jana Kuttner.

„UK steht und fällt mit dem Umfeld, es ist der Schlüssel zum Erfolg. Wenn nicht genügend Zeit und Ressourcen vorhanden sind, bleibt der positive Effekt oftmals aus. Es ist nicht das Hilfsmittel, das allein den Unterschied macht, sondern die Grundhaltung der Angehörigen“, so Kuttner. Wird das Hilfsmittel regelmäßig im Alltag eingesetzt und von den Bezugspersonen modellhaft vorgelebt, hat die Klientin oder der Klient die Möglichkeit, davon zu lernen und es für sich zu nutzen. Ziel ist es, durch UK Barrieren zu überwinden, die die Betroffenen sonst daran hindern würden, gleichermaßen am Leben teilzunehmen.