© Lorenz Schmitt

Ein Praktikum in der Romantik-Forschung des Freien Deutschen Hochstifts

Von Lorenz Schmitt

Auch in der Universitätsbibliothek in Gießen steht sie: Die Frankfurter Brentano-Ausgabe (FBA). Unter den Signaturen 000 GK 3183.975-1 bis 000 GK 3183.975-38,3 füllen die 57 Bände 1,10 Regalmeter. Gut zu erkennen sind sie an der besonderen Farbe ihrer Einbände in amarantrot. Dieser Farbstoff verdankt seinen Namen einer gleichnamigen Pflanze, die kräftig rote Blüten hervorbringt. Zwischen den amarant-farbenen Buchdeckeln verbirgt sich das Werk des romantischen Dichters Clemens Brentano (1778-1842). Er selbst war es, der sich für die Herausgabe seiner Arbeiten diese Farbgestaltung wünschte.

Seit über 40 Jahren trägt nun das Freie Deutsche Hochstift in Frankfurt am Main diesem Wunsch Rechnung. Bereits in den 1960er Jahren begann dort die Arbeit am Brentano-Projekt, das mit den Jahren zu einem der größten und umfangreichsten Editionsvorhaben im deutschsprachigen Raum avancierte. Das Ziel ist kein geringeres als sämtliche Werke und Briefe Clemens Brentanos in einer Gesamtausgabe und unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Standards an die Öffentlichkeit zu bringen. Mittlerweile steht ein Großteil der Frankfurter Brentano-Ausgabe ediert und gedruckt in den Bibliotheken, doch längst nicht alle geplanten Bände sind schon erschienen. Die Arbeit in der Abteilung Romantik-Forschung des Frankfurter Hochstifts ist also nach wie vor in vollem Gange.

Eine gute Gelegenheit für mich, im Rahmen meines Praktikums der Entstehung solcher historisch-kritischen Werkausgaben wie der von Brentano einmal genauer nachzugehen. Schließlich gehören verlässliche Textausgaben zu den wesentlichen Voraussetzungen für literaturwissenschaftliches Arbeiten. Doch wie genau sie zustande kommen, auf welche Konventionen bei der wissenschaftlichen Herausgabe zu achten sind und welche Herausforderungen unerwartet auftreten können bleiben den Bibliotheksnutzer*innen zumeist verborgen. Ein Blick hinter die Kulissen der Frankfurter Brentano-Ausgabe eröffnet Einsichten in konzentriertes, gründliches Arbeiten und nahezu detektivisches Forschen auf der Suche nach Brentanos Textgestalt.

Von Gießen nach Frankfurt: Editionsarbeit in literaturhistorischer Umgebung

Goethes Geburtshaus. © Mylius, Wikipedia

Bereits der Ort, an dem ein Großteil von Brentanos Originalhandschriften aufbewahrt werden und die Arbeit an der Edition vonstattengeht, ist ein besonderer. Im Großen Hirschgraben in Frankfurt steht Goethes Geburtshaus. Direkt daneben, durch die historische Brandmauer desselben getrennt, befinden sich die Arbeitsräume des Freien Deutschen Hochstifts. Während gelegentlich Tourist*innen vor dem Geburtshaus des berühmten deutschen Dichterfürsten posieren oder Besucher*innen die Ausstellungen im Goethehaus oder im benachbarten Romantikmuseum besuchen, lagern im Inneren abgedunkelt und bei konstanter Temperatur und Luftfeuchtigkeit die wertvollen Originale der romantischen Dichter und Denker. Auch Clemens Brentano ist mit einem Bestand von 30 Kartons vertreten. Ein paar Stockwerke darüber hat die Abteilung Romantik-Forschung ihren Sitz, wo die Arbeit mit den Handschriften stattfindet. Prof. Wolfgang Bunzel ist Leiter der Redaktion, zu der zwei wissenschaftliche Mitarbeiter sowie zwei studentische Hilfskräfte gehören. Gemeinsam werden dort die Materialien erschlossen, geprüft und für die Veröffentlichung aufbereitet. Die Arbeit vor Ort geschieht dabei in enger Abstimmung mit den Herausgebern der Bände sowie mit dem Verlag Kohlhammer Verlag in Stuttgart.

Flexibilität und Ordnung: Der Editionsplan

Am Anfang des Editionsvorhabens stand in den 60er-Jahren das Sammeln von Materialien – Handschriften, Abschriften und Drucken zu Brentanos Werken, die bei der Erstellung der wissenschaftlichen Gesamtausgabe von Nutzen sein können. Auch wenn das Freie Deutsche Hochstift damals schon über einen großen Bestand zu Brentano verfügte, war dieser Schritt der Vorbereitung trotzdem essentiell. Nach und nach konnten schließlich die einzelnen Werkabteilungen unter Einhaltung wissenschaftlicher Standards ausgewertet und publiziert werden. Den Anfang machte 1975 Band 6 unter dem Titel Des Knaben Wunderhorn, Teil I, Text.

Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Volksliedtexten, die Clemens Brentano gemeinsam mit Achim von Arnim 1805 bis 1808 zusammengestellt hatte. Es mag anfangs merkwürdig erscheinen, dass die erste Publikation der Reihe die Nummerierung 6 trägt. Doch dahinter steht ein detaillierter Editionsplan, der im Fall der FBA nicht chronologisch nach den Entstehungszeiten der Texte angelegt ist, sondern mit Werkabteilungen arbeitet. Dabei wird das Gesamtwerk eines Autors in verschiedene Kategorien eingeteilt. Bei Brentano sind dies beispielsweise Gedichte, Des Knaben Wunderhorn, Romanzen vom Rosenkranz, Dramen, Prosa, religiöse Werke und Briefe. Ein unmittelbarer Vorteil dieser Vorgehensweise ist es, dass auch gezielt nach aktuellen wissenschaftlichen Interessen und Schwerpunktsetzungen gearbeitet werden kann. So mag das Hauptaugenmerk in den Jahren vor 1975 vermehrt auf die Wunderhorn-Texte gerichtet gewesen sein, weswegen der nach Editionsplan sechste Band zuerst publiziert wurde.

Bis heute wird der Editionsplan nicht einfach von oben nach unten abgearbeitet, sodass hin und wieder noch Leerstellen in einzelnen Werkabteilungen bestehen. Wolfgang Bunzel bilanziert im Hinblick auf die bisher erfolgten Publikationen, dass man im Laufe der Zeit durchaus verschiedene Phasen im Editionsprozess ausmachen könne. Während die Dramen und Briefe als Werkgruppen abgeschlossen seien, sei man bei der Prosa und den religiösen Werken auf einem guten Weg. Die Arbeit an den Gedichten hingegen nehme noch einiges an Zeit in Anspruch. 

Vor allem Gedichte haben ihre Tücken

Passend zu diesem Eindruck berichteten mir auch die Mitarbeiter von ihrer Arbeit an den Gedichten. Gerade diese Textgruppe sei am schwierigsten zu bearbeiten, da es sich um viele kleinere Einzeltexte handele, deren Reihenfolge im Textband sich aufgrund der Datierung einzelner Gedichte bis zuletzt noch ändern könne. Meiner Vermutung, die Metrik und Reimschemata der Lyrik könnten zumindest bei der Entzifferung der Handschriften helfen, stimmten die erfahrenen Editoren nur zum Teil zu.  Die meisten Gedichthandschriften von Brentano gleichen ohnehin einem Wimmelbild aus vielen einzelnen Textzeilen in kleinster Kurrentschrift, die kreuz und quer über eine Art dunkelblaues, äußerst fragiles Löschpapier verstreut sind. Teilweise erschwert dies die eindeutige Zuordnung von Versen in das Gedichtschema. Hinzu kommt, dass von Brentano auch Änderungen vorgenommen wurden, ohne dass dabei die veraltete Version als solche hinreichend kenntlich gemacht wurde.

Was einerseits für das geschulte Auge wahnsinnig spannend ist, da man unmittelbar Einblicke in die Art und Weise des Schaffens und der Textgenese erhält, ist andererseits für die Erstellung einer Edition auf dieser Grundlage erst einmal problematisch. Die Mitarbeiter müssen entscheiden, welcher Textvariante sie für den Obertext ihrer Ausgabe Vorzug gewähren und welche Lesart sie besser im wissenschaftlichen Apparat aufführen und erläutern. In einem Gedicht mit durchgehend achtversigen Strophen können dabei neun Verse aufgrund einer Zeilenwiederholung durchaus zu einer Herausforderung werden.  Oberste Maxime bei solchen Zweifelsfällen ist es dann, das Eingreifen der Editoren in die Textgestalt transparent zu machen und deren Entscheidungen zu begründen.

Historisch-kritisch erfordert Arbeit auf höchstem wissenschaftlichen Niveau

Überhaupt geht die Arbeit an einer historisch-kritischen Ausgabe mit hohen Ansprüchen einher. Bei dieser Tätigkeit handelt es sich nicht primär um die Herausgabe einer Textausgabe zum Lesen. Stattdessen dient sie vielmehr der Bereitstellung eines zuverlässigen Texts für wissenschaftliche Forschungen und soll darüber hinaus auch wichtige Werke und ganze Lebenswerke von Autoren für die Nachwelt bewahren. Die maßgeblichen Kriterien, die es dabei zu erfüllen gilt, trägt die historisch-kritische Ausgabe bereits in ihrem Namen. Zum einen sollen solche Ausgaben mit Berufung auf historisch die Entstehungsgeschichte der Texte sichtbar machen und diese zum anderen kritisch – nach den Maßstäben der Textkritik – untersuchen. Dazu gehört, dass neben Handschriften des Autors auch spätere Abschriften und Drucke mitberücksichtigt werden und sämtliche, textkritisch relevante Unterschiede als Lesarten in den textkritischen Apparat der Ausgabe eingehen. Die Frankfurter Brentano-Ausgabe veröffentlicht Lesarten und Erläuterungen zu den Texten sogar überwiegend in einem separaten Band neben den reinen Textbänden der Ausgabe.

Eine meiner Haupttätigkeiten in der Zeit des Praktikums bestand somit auch darin, eine bereits entzifferte Abschrift eines der religiösen Werke Brentanos mit einem Druck aus dem Jahr 1858 abzugleichen. Diese Arbeit hatte zum einen zum Ziel, zum einen mögliche Lesefehler der Editoren ausfindig zu machen. Zum anderen konnten solche Abweichungen aber auch daher rühren, dass der Herausgeber des Drucks von 1858 bewusst in den Text eingegriffen und Änderungen vorgenommen hatte, da seiner Publikation andere Maßstäbe zugrunde lagen als der FBA heute. Sie richtet sich zuallererst nach der Zuverlässigkeit des Textes, während die Ausgabe von 1858 eher auf inhaltliche Richtigkeit bedacht war. Nichtsdestotrotz bleiben solche Abweichungen auch für die historisch-kritische Brentano-Ausgabe relevant. Sie sind Bestandteil der Textgenese, sodass manche Unterschiede zwischen der Abschrift und dem Druck, die ich ausfindig machen konnte, der weiteren Recherche bedürfen und im Rahmen der Textkritik Erwähnung finden müssen.

Um zu gegebener Zeit auf jene Unterschiede zurückgreifen zu können, habe ich die verschiedenen Lesarten in einer Liste kenntlich gemacht, wobei zunächst die Variante der Abschrift genannt und dann durch eine eckige Klammer von der des Drucks abgetrennt wird. Solche reichen beispielsweise von Abweichungen der Wortstellung wie bei schon oft] oft schonbis hin zur Verwendung anderer, mehr oder weniger synonymer Begriffe (gelehrt] verkündet). Manche Unterschiede deuten aber auch auf Lesefehler hin wie beispielsweise Gärten] Gütern oder niederwandern] wiederwandern. Eine beliebte Quelle für Abweichungen sind gerade im Kontext biblischer Erzählungen auch Namen von Orten und Personen (Magido] Megiddo)und nicht zuletzt auch Abweichungen inhaltlicher Art, von denen auszugehen ist, dass sie im Druck entsprechend korrigiert wurden (westlich] nordöstlich).

Der Entstehungsgeschichte auf der Spur

Wie sich die Entstehung eines Textes rekonstruieren lässt, wurde mir bei dieser Aufgabe besonders deutlich. Brentano hinterließ ein umfassendes Werk, das das Leben Jesu, seine Lehren sowie sein Leiden und Sterben nachzeichnete. Hintergrund seiner Beschäftigung mit dem Leben Jesu war seine Verbindung zu der Nonne Anna Katharina Emmerick, die regelmäßig in Visionen mystische Bilder vom Leben und Wirken Jesu Christi vernahm. Brentano besuchte die Nonne über sechs Jahre hinweg nahezu täglich und hielt ihre Erscheinungen protokollartig fest. Daraus entstanden wohl an dieungefähr 16.000 Seiten Material, das Brentano nutzte, um daraus seine religiösen Werke zu formen. Der Bearbeitungsprozess verharrte also nicht im Stadium bloßer Aufzeichnungen oder Mitschriften als Rohmaterial, sondern ging weit darüber hinaus in die poetische Bearbeitung, in der Brentano eigene Ausgestaltungen vornahm, seinen Text also handschriftlich festhielt und immer wieder überarbeitete.

Daraus fertigte die Brentano nahestehende Anna Barbara Sendtner schließlich eine Abschrift als Druckvorlage an.

Die genauen Umstände dieses Arbeitsschritts sind noch nicht rekonstruiert. Die Mitarbeiter in der Brentano-Redaktion gehen derweil von zwei möglichen Szenarien aus, nach denen es sich entweder tatsächlich um eine Abschrift handelt oder aber um ein Diktat Brentanos an seine Schreiberin. Für beide Hypothesen lassen sich Belege im Text finden. Die häufig auftretenden Kasusfehler, bei denen manche Wortendungen mit den vorigen Artikeln nicht zusammenpassen, legen einerseits eher ein Diktat nahe, bei dem durch die Zeitlichkeit des Sprechens ein zusammenhängender Überblick über die Satzstrukturen erschwert wird. Andererseits sind Ziffern mal als Wort ausgeschrieben, mal treten sie als Zahl auf, was womöglich eher auf die Einsicht einer Vorlage zum Abschreiben deuten mag.

In jedem Fall schafft es die Druckvorlage Sendtners, die verhältnismäßig unübersichtliche Handschrift Brentanos in ihrer Textgestalt zu ordnen. Gleichwohl hat auch hier Brentano noch selbst handschriftlich eingegriffen, Kommentierungen und Änderungen vorgenommen. Diese Druckvorlage mit Brentanos letzten Überarbeitungen liegt somit als mögliche, authentischste Textgestalt der Frankfurter Brentano-Ausgabe zugrunde. Lediglich bei fehlenden Stellen greift sie für die Rekonstruktion des Obertextes auf seine frühere Handschrift zurück.

Doch die Überlieferungsgeschichte ist damit keineswegs zu Ende. 1858 erscheint posthum der bereits erwähnte Druck Das Leben unseres Herrn und Heilands Jesu Christi. Nach den Geschichten der gottseligen Anna Katharina Emmerich aufgeschrieben von Clemens Brentano. Es handelt sich um eine eher aus theologischer denn aus philologischer Sicht versierte Arbeit, die aber trotzdem als Teil der Geschichte des Textes Eingang in die historisch-kritische Ausgabe finden muss. Zudem die theologische Ausrichtung dieser Publikation bei der Kommentierung des Textes wertvolle inhaltliche Impulse setzen kann. Am Ende der Überlieferungsgeschichte steht somit derzeit nach Protokollierungen, Handschriften, Abschriften und Drucken die Frankfurter Brentano-Ausgabe mit ihren Bänden über die Lehrjahre Jesu.

Perspektivwechsel: Von der Rezeptionsseite auf die Produktionsseite und zurück

Doch bis meine Aufzeichnungen in die Erstellung eines Kommentarbandes einfließen können, wird es noch ein paar Jahre dauern. Momentan kommen gesetzte Probedrucke von Gedichten aus dem Verlag zurück an die Redaktion, die eine intensive Überprüfung erfordern. Auch die Durchsicht der Probedrucke und bei Gedichten speziell die Überprüfung der Verszähler, Initialen am Gedichtanfang, Texteinzüge und Kolumnentitel am Anfang einer jeden Seite gehörte zu meinen Aufgaben.

Es war insofern hilfreich, dass die in Verlagen und Redaktionen gebräuchlichen Korrekturzeichen mir auch durch das Germanistik-Studium schon vertraut waren und ich diese bei meiner Arbeit anwenden konnte. Zudem erfordert eine solche Beschäftigung neben der Begeisterung für die Literaturwissenschaft auch ein Mindestmaß an sprachwissenschaftlichen Kenntnissen. Bei dem Vergleich der Abschrift mit dem Druck der Lehrjahre Jesu traten mitunter auch größere Abweichungen auf, die die ganze Satzstruktur oder darüber hinaus größere Textzusammenhänge betrafen. Eine Analyse, die dann auch einmal die linguistische Perspektive einnahm, war durchaus hilfreich, um das Problem genauer zu lokalisieren und in seinen Auswirkungen begreifbar zu machen.

Darüber hinaus eröffnet wohl kaum eine andere Tätigkeit einen so intimen Einblick in die Gedankenwelt eines Schriftstellers. Die Auseinandersetzung mit seinen Texten und seinem Gesamtwerk führte mir erst vor Augen, welch vielseitiger Autor Clemens Brentano gewesen war. Von seinen Dramen und religiösen Werken wusste ich bis dahin noch nichts und überhaupt war ich von dem Umfang seines Werks und der Produktivität, die er zeitlebens aufgebracht haben muss, begeistert. Die Mitarbeiter der Brentano-Redaktion erweisen sich in dieser Hinsicht nicht nur als Spezialisten im Gebiet der Editionswissenschaft, sondern auch als Experten Brentanos und seiner Zeitgenossen. An dieser Expertise lässt das Freie Deutsche Hochstift alle Interessierten im benachbarten Romantikmuseum teilhaben, wo an einigen Stationen auch Clemens Brentanos Leben und Werk präsentiert wird. Gerade diese enge Verbindung aus wissenschaftlicher Arbeit und Kulturvermittlung ist beeindruckend.  

Mein Praktikum in der Romantik-Forschung hielt zahlreiche, für mich neue und spannende Einblicke in ein Berufsfeld bereit, von dem man für gewöhnlich nur wenig im Laufe des Studiums erfährt, und das, obwohl die Zielgruppe solcher historisch-kritischen Ausgaben ja gerade an den Universitäten und in den wissenschaftlichen Bibliotheken zu finden ist. Besonders habe ich den Austausch mit den Mitarbeitern vor Ort geschätzt. Ein Doktorand berichtete mir beispielsweise von seinem Werdegang und seinen Erfahrungen während des Studiums und merkte an, dass vor allem die Auseinandersetzung mit Handschriften, die für die Editionsarbeit essentiell ist, im Studium kaum vermittelt werde. Er habe sich das Lesen alter Handschriften daher aus Interesse nebenher selbst angeeignet und profitiere bis heute davon.

Das Lesen von zum Beispiel Brentanos Handschrift ist in der Tat anfangs kaum möglich. Es erfordert einiges an Übung, um nahezu flüssig und fehlerfrei lesen zu können. Ich konnte mit der Zeit immerhin vereinzelt Wörter entziffern beziehungsweise vermuten, was dort stehen könnte. In jedem Fall ist mein Eindruck, dass sich die Beschäftigung mit solchen Handschriften und das Lesetraining am Ende durchaus auszahlen kann. Dies gilt natürlich besonders für die Arbeit im Editionswesen, die entgegen vielerlei anderer Branchen auf Gründlichkeit statt auf Schnelligkeit setzt, um am Ende ein vor allem verlässliches Ergebnis präsentieren zu können. Den immensen Arbeitsaufwand hinter jedem einzelnen Band vermag man als Nutzer*innen kaum trefflich einschätzen zu können. Erst der Blick hinter die Kulissen hat zumindest mir vor Augen geführt, welche Akribie und Sorgfalt diese Arbeit erfordert.

Digitalisierung als künftiges Großprojekt

Im Durchschnitt werden, so berichteten mir die Mitarbeiter in Frankfurt, pro Jahr circa 1,5 Bände publiziert. Bis zur Fertigstellung der Ausgabe werden also noch etwa 10 Jahre vergehen. Doch auch auf die Frage, wie es danach weitergehe, haben die Wissenschaftler eine Antwort. Eine Ausgabe mit weit über 50 Teilbänden in Buchform konsultiert heute kaum jemand mehr, andere Medienformate sind mittlerweile zeitgemäßer. Man führe also zu Ende, was vor 49 Jahren in Buchform begann, um alles einmal und für alle Zukunft komplett zu haben. Danach ginge es wohl an die digitale Aufbereitung der Ausgaben, in der neben dem Text auch Brentanos Handschrift in einer Art digitalen Hybridausgabe einsehbar sein soll.

Doch dieser Schritt obliegt dann wahrscheinlich schon der nächsten Forschergeneration, wie überhaupt die ganze Ausgabe ein Gemeinschaftswerk vieler Generationen und Mitwirkenden war und ist. Ob die digitale Ausgabe irgendwann auch in amarantrot erscheinen wird? Angemessen wäre es allemal. Der griechische Ursprung des Wortes amarant bedeutet übersetzt so viel wie „nicht vergehend“, „immer blühend“. Wie passend für den dichterischen Nachlass Clemens Brentanos und die unermüdliche Arbeit der Romantik-Abteilung des Hochstifts an deren Frankfurter Brentano-Ausgabe.