Von Carlotta Neffgen
„Und ehrlich gesagt, ich hab’s satt, dass man Gefühle immer verstecken soll. Wut, Angst, Trauer, die gehören dazu. Heute gibt’s kein Schönreden. Heute wird’s echt. Bühne frei“, so eine der drei Moderatorinnen, die die Bracken-Kult-Night am 25. Juni eröffnete. Sie bringt auf den Punkt, worum es an diesem Abend geht: um echte Emotionen, um mutige Auftritte und um das, was Schule im besten Fall sein kann – nämlich ein Raum für Ausdruck, Zusammenhalt und persönliche Entwicklung. Das diesjährige Motto lautete „Feelings“ und war inspiriert vom Animationsfilm „Alles steht Kopf“. Rund 200 Gäste, bestehend aus Lehrkräften, Angehörigen, Mitarbeiter*innen und Ehemaligen waren in die Turnhalle der Helmut-von-Bracken Förderschule gekommen. Geboten wurde ein vielseitiges Programm aus Theater, Tanz, Musik, Film und Sketchen.
Drei Schülerinnen übernahmen die Moderation. In den Rollen von Freude, Traurigkeit und Wut führten sie mit literarisch anmutenden Texten durch das Programm. So erklärte zum Beispiel die Figur „Traurig“: „Gefühle sind wie das Wetter. Mal sonnig, mal grau. Und manchmal ziehen sie uns einfach mit sich runter, ohne Vorwarnung.“ Das Theaterstück zum Thema Mobbing bildet den Kern der gesamten Veranstaltung. Es erzählt die Geschichte eines Jungen, der neu in eine Klasse kommt, nachdem er mit seiner Familie nach Gießen gezogen ist. Anfangs wird er von seinen Mitschülerinnen und Mitschülern nicht gut aufgenommen, ausgegrenzt und schikaniert. Doch im Verlauf des Stücks greifen andere Kinder mutig ein, setzen sich für den neuen Schüler ein und suchen das Gespräch mit dem Klassenlehrer. Am Ende steht ein versöhnlicher Ausgang: Der neue Mitschüler wird nicht länger geärgert und findet seinen Platz in der Klassengemeinschaft. In eindrucksvollen Szenen wurde gezeigt, was es bedeutet, verletzt, ausgeschlossen oder übersehen zu werden. Die Dialoge sind intensiv, ehrlich und nah an der Lebensrealität vieler Kinder. Als die Darstellenden im Anschluss selbst das Wort ergreifen, wird es still im Raum. Eine Stimme erklärt: „Mobbing ist der Schmerz, den Worte und Taten hinterlassen. Oft, ohne dass wir es merken.“ Eine andere ergänzt: „Lasst uns eine Welt schaffen, in der jeder Mensch sicher und akzeptiert ist.“ Schließlich richtet eine Schülerin einen eindringlichen Appell an das Publikum: „Wir haben eine Bitte an euch. Seid laut, wenn ihr seht, dass jemand leidet.“ Diese Worte hallen nach.
Eine Zuschauerin brachte es am Ende auf den Punkt: „Man merkt die Mühe. Sie haben so viel Mut, sich auf die Bühne zu stellen.“ Schon vor Beginn war die besondere Atmosphäre spürbar. Die Akteur*innen liefen aufgeregt durch die Halle, suchten Plätze und erzählten ihren Familien von ihren Auftritten. Eine Schülerin flüsterte: „Ich hab Angst, meinen Text zu vergessen oder meinen Einsatz zu verpassen.“ Doch diese Sorge war völlig unbegründet, der gesamte Auftritt lief reibungslos ab. Niemand verpasste seinen Einsatz, kein einziger Textpatzer trübte die beeindruckenden Darbietungen.
Ziel der Kult-Night ist es, den Schülerinnen und Schülern eine Bühne zu geben, auf der sie wachsen können. Dabei zählt nicht nur das Ergebnis, sondern vor allem der Weg dorthin, sagt Nicole Thiel, Lehrerin an der Schule. Gemeinsam mit ihrem Kollegen leiten sie die „TaMuTe AG“ für Tanz, Musik und Theater. Die Vorbereitungen begannen bereits im Herbst 2024. Ab Januar liefen sie auf Hochtouren. Jeden Mittwoch trafen sich die Beteiligten zur Probe. Der gesamte Prozess war geprägt von Teamarbeit, Eigenverantwortung und Kreativität. Entscheidungen wurden im Plenum getroffen, Ideen gemeinsam entwickelt. Auch Ton, Licht und Bühnenbild wurden von den Schülerinnen und Schülern mitgestaltet.
Für viele war es eine enorme Herausforderung, sich trotz sprachlicher Barrieren oder persönlicher Unsicherheiten auf der Bühne zu zeigen. „Gerade für die Sprachheilkinder, ist das eine riesige Hürde“, so Thiel. Deshalb sei es „saugeil“, sich auf die Bühne zu trauen. Umso größer war die Freude, als der Applaus kam. Auch musikalisch setzte die Bracken-Kult-Night Akzente. Der Auftritt des Lehrkräftechors mit dem Song „Don’t Stop Believin“ war für viele Gäste ein weiterer Höhepunkt. Das Lied passte nicht nur thematisch zum Abend, sondern zeigte auch, wie stark die Verbundenheit im Schulalltag gelebt wird.
Die Bracken-Kult-Night ist weit mehr als eine schulische Vorführung. Sie ist Ausdruck gelebter Schulkultur, ein Fest der Talente und ein Raum, in dem sich junge Menschen zeigen dürfen. Nicole Thiel fasst es so zusammen: „Ich finde immer, es hat eine Auswirkung auf die Schulgemeinde. Es kommen alle, es freuen sich alle. Man sieht so wirklich die Früchte aller Arbeit da an einem Abend.“ Ob beim Singen, Tanzen, Theaterspielen oder Moderieren, überall wurde sichtbar: Gefühle haben Platz. Für viele war die Bracken-Kult-Night eine persönliche Herausforderung, die Mut verlangt, aber auch bestärkt. Und genau das macht sie so besonders.