Von Lisa Wächter
550 Journalist*innen befinden sich auch 2024 weltweit in Gefangenschaft und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wird stark bedroht, wie der Jahresbericht von Reporter ohne Grenzen verdeutlicht. In Gießen hat sich der Verein Gefangenes Wort zur Aufgabe gemacht, über diesen Missstand aufzuklären. Im Januar 2025 berichtet Vorstandsmitglied Lena Frewer im Gespräch von der Geschichte und Arbeit des Vereins.
Die Organisation, die heute 74 Mitglieder zählt, ist im Jahr 2008 aus einem Seminar zum Thema Exilliteratur entstanden. Die Studierenden „hatten Lust, etwas auf die Beine zu stellen und wollten die Verfolgung von Schriftsteller*innen und die Gefährdung von Meinungs- und Pressefreiheit weltweit als Thema aufgreifen“, erzählt Frewer. Seit 2012 ist die Initiative mehr als nur das, nämlich ein eingetragener Verein, der vor allem von der Arbeit des vierköpfigen Vorstandsteams lebt. Zu den Projekten zählt hierbei die langjährige monatliche Kolumne im Gießener Anzeiger, Lesungen oder die Veranstaltungsreihe Worte in Ketten, die gemeinsam mit der VHS Lich organisiert wird. Als initiale Aktivität stellt Frewer die Bücherflohmärkte dar, deren Erlöse an unterdrückte Journalist*innen oder ihre Familien vermittelt wurden.
Zum Selbstverständnis des Engagements gehört für Frewer, dass die Veranstaltungen und ihre Inhalte von den Autor*innen frei gestaltet werden können, um „eine Plattform zu bieten, die sie sonst nicht haben“. Dies erfordere allerdings auch, die eigene privilegierte Position als weißer Mensch zu reflektieren, sagt Frewer. Daher sei es ein Anliegen, niedrigschwellig zu arbeiten, sich mit verschiedenen Communities zu vernetzen und möglichst diverse Moderator*innen einzuladen. Dabei helfe unter anderem die Zusammenarbeit mit dem Ausländerbeirat der Stadt Gießen.
Im vergangenen Jahr fand beispielsweise eine Lesung mit dem Journalisten und Lyriker Nedim Türfent statt, an welcher viele Gäste aus der kurdischen Gemeinde teilnahmen. Frewer resümiert: „Es ist einfach schön, wenn man dazu beitragen kann, dass es solche Räume gibt und dass Leute wieder eine Verbindung zu ihrer Kultur und zu ihrer Sprache bekommen.“ Türfent ist zudem aktueller Stipendiat des Programms Hafen der Zuflucht Hessen, das Gefangenes Wort zusammen mit dem Land Hessen organisiert und finanziert. Die Initiative bietet bedrohten Kulturschaffenden die Möglichkeit, ein Jahr in Gießen oder Kassel zu wohnen und die Ruhe zu haben, ihrer Arbeit nachzugehen. Teil des Stipendiums sei die monatliche finanzielle Unterstützung. Darüber hinaus helfe der Verein in vielen weiteren Lebensbereichen, wie etwa bei der Suche nach Therapieplätzen, bei Behördengängen oder Einkäufen. „Manchmal sind wir auch einfach da, um gemeinsam einen Kaffee zu trinken“, ergänzt Frewer.
Viele neue Aufgaben, zu denen nicht nur Lohnabrechnungen und Bürokratie zählten, sondern auch der Umgang mit traumatisierten Menschen, stellten sich dem Vereinsvorstand und forderten das Team an manchen Stellen heraus, merkt Frewer an, doch habe sie dadurch in kurzer Zeit viel lernen können.
2020, zwei Jahre, bevor das Projekt in die Realität umgesetzt werden konnte, begann die Planung. Das Team, das neben einer Teilzeitkraft und einer Werkstudentin aus ehrenamtlich Arbeitenden besteht, sah sich häufig zeitlich und personell herausgefordert, dennoch konnten seit 2022 fünf Stipendien vergeben werden, berichtet Frewer stolz. Die Stipendiat*innen neben Nedim Türfent waren die iranische Musikerin und Schriftstellerin Sahar Ajdamsani, den russischen Schriftsteller und Dramatiker Sergei Davydov, die ukrainische Dichterin Victoria Feshchuk sowie die kurdische Journalistin Özgür Sevinç Şimşek.
Einen Hafen der Zuflucht zu eröffnen, bedeutet für Frewer „einen Raum von Sicherheit geben und dass man sein kann mit dem, was man mitbringt; dass Journalist*innen mit ihrer Perspektive auf der Welt sein und arbeiten können, wie sie das für richtig halten und das einem niemand reinredet oder Vorgaben macht. Ein Leerraum, der von den Ankommenden selbst gefüllt und gestaltet wird.“ Zudem zeige dieses Projekt, dass man mit wenigen Menschen, geringen Kapazitäten und vor allem lokal viel erreichen könne. Für Frewer eine Möglichkeit, sich angesichts der weltpolitischen Lage zu engagieren und sich dem Gefühl der Passivität zu widersetzen.
Sie selbst habe durch das universitäre Umfeld, die Bücherflohmärkte sowie die Arbeit beim Literarischen Zentrum Gießen von Gefangenes Wort erfahren, seit 2017 ist sie Mitglied. In der ehrenamtlichen Arbeit sieht sie die Möglichkeit, ihre Interessen an Politik und Literatur miteinander zu verknüpfen und Aufklärungsarbeit zu leisten, die vor Ort sichtbar wird. Obwohl sie verstehe, dass das Engagement in Vereinen für viele Menschen eine Hürde darstellt, möchte sie dazu ermutigen sich einzubringen. Alle Menschen, die Lust auf politische Arbeit haben und die sich gerne mit Literatur beschäftigen sind willkommen. Es gibt die Möglichkeit, Veranstaltungen zu planen, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben oder sich für die Kolumne im Gießener Anzeiger zu engagieren. Diese erscheint einmal monatlich und stellt ein*e verfolgt*e oder im Exil lebende Person vor. Frewer sagt: „Da kann man ganz niedrigschwellig super früh journalistische Erfahrungen sammeln“ und lädt ein, sich mit Ideen zu melden und einen Artikel beizutragen. Hierzu muss man nicht zwingend Vereinsmitglied sein.