Schon mehr als zehn Jahre beschäftigt sich das LZG mit der Förderung und Pflege von Literatur und Kultur im Raum Gießen. 

Von Alix Sophie Czaplinski

Ein bekannter Autor sitzt in einem gemütlichen Wohnzimmer und liest aus seinem neuen Werk vor. Das tat Feridun Zaimoglu, der unter anderem mit dem Friedrich-Hebbel-Literaturpreis ausgezeichnet wurde, bei der „Literarischen Heimsuchung“ 2012, mit seinem Roman Ruß. Dies ist nur eines der vielen Highlights, die das Literarische Zentrum Gießen (LZG) in den letzten zehn Jahren verbuchen konnte. Sogar Herta Müller, Literaturnobelpreisträgerin 2009, holte der Verein 2017 in die Studentenstadt, wo sie in der Aula der Justus-Liebig-Universität (JLU) aus ihren Werken las, aber auch über ihr Leben und ihre Arbeit sprach.

Heute ist das LZG aus der Literatur- und Kulturszene Gießens nicht mehr wegzudenken. Der Verein wurde im November 2009 unter Vorsitz von Prof. Sascha Feuchert, Literaturwissenschaftler an der JLU, gegründet. Momentan setzt sich die kleine Truppe aus der Geschäftsführung, zwei Volontär*innen und verschiedenen Praktikant*innen zusammen. Das Volontariat ist an sich schon besonders: Ausschließlich Studierende der JLU erhalten die Möglichkeit, Erfahrungen im Literatur- und Verlagsbereich zu sammeln und zu vertiefen. Bei der Organisation von Lesungen sind sie voll in den Prozess eingebunden: Autor*innen anfragen, einen Saal buchen, Moderation; die Volontär*innen sind in alle Arbeitsschritte involviert. Doch was genau macht das LZG eigentlich?

„Wir sind eine etablierte Institution, die sich mit literarischer Tradition und deren Pflege beschäftigt“, erklärt Janine Clemens, seit 2019 Geschäftsführerin. „Wir wollen Kultur und Literatur im Raum Gießen fördern“, fügt Volontärin Beatrice Kaiser hinzu. Um dieses Ziel zu erreichen, werden Lesungen, Ausstellungen, Festivals, Führungen und Vorträge ausgerichtet. „Diese Veranstaltungen sind alle komplett unterschiedlich“, beschreibt Beatrice Kaiser das Programm. Von Werkstattgesprächen, wie das mit Comicautorin Lisa Frühbeis im Februar vergangenen Jahres, über Events für Kinder, beispielsweise mit dem KiKa-Star Ralph Caspers im Dezember 2019, bis hin zur „Kreuzfahrt auf der Lahn“ mit Andreas Lukoschik Anfang September ist alles dabei. „Wir agieren aber auch als eine Art Bindeglied zwischen Autoren, Verlagen, Buchhandlungen und Bibliotheken“, führt die Volontärin weiter aus. „Das LZG fungiert ebenso als Ausbildungsstätte, die Studierenden die Möglichkeit gibt, in den Literaturbereich hineinzuschnuppern. Kurzum: Wir bringen diejenigen zusammen, die Spaß am Lesen haben.“ 

Hierfür vernetze sich der Verein mit wichtigen Instanzen des Bildungswesens und arbeite eng mit dem Schulwesen des Landkreises zusammen. Deshalb gebe es auch regelmäßig Kinderlesungen. „Wir sind bestrebt jungen Menschen den Spaß an Büchern näherzubringen“, so Janine Clemens. Die Zusammenarbeit mit der JLU bezeichnet die Geschäftsführerin als „besonders fruchtbar“. Zahlreiche Dozierende moderierten schon Veranstaltungen. Man stehe in einem regen Austausch. Nicht zuletzt auch, um Studierende von der Arbeit des LZG profitieren zu lassen. „Oftmals lesen Autoren im Zuge einer Veranstaltung aus ihrem Roman und verknüpfen ihren Besuch bei uns mit einer Vorlesung an der Hochschule “, erklärt Janine Clemens. So stellte Stefanie-Lahya Aukongo im Februar 2021 bei einer digitalen Veranstaltung ihre Texte gegen Rassismus vor und sprach anschließend über ihre Erfahrungen mit dem dekolonisierenden Schreiben. Das Publikum diesmal: Viele Doktorand*innen des Gießener Graduiertenzentrums Kulturwissenschaften (GCSC).

Literatur und Begegnungen

Darüber, dass die Treffen und Vorträge jetzt langsam wieder in Präsenz losgehen, freut sich das ganze Team. „Der Lockdown hat uns vor große Herausforderungen gestellt“, gesteht die Geschäftsführerin. Nachdem der Veranstaltungsbetrieb zeitweise komplett eingestellt worden war, hat sich die ganze Belegschaft des LZG in diesem Frühjahr angestrengt, „ein digitales Programm zu stricken. Wir haben uns bemüht, schnell Ersatz zu liefern, den Menschen eben von zu Hause aus Literatur schmackhaft zu machen“, so Janine Clemens. Autor*innen stellten über WebEx und andere Streamingportale ihre neuesten Romane vor, Fragen wurden über die Chatfunktion gestellt. Dennoch: „Begegnungen bringen Lebensfreude“, bekennt Tabea Knispel, momentan im Volontariat, und strahlt dabei tatsächlich über das ganze Gesicht. Alle Beteiligten sind daher froh, seit Juli wieder in Präsenz da zu sein. Nicht zuletzt auch das Publikum, waren doch die ersten face-to-face-Lesungen komplett ausverkauft. Kurz vor den Sommerferien startete das ‚live‘-Programm mit Eva Demskis Roman Scheintod, im Rahmen des Lesefests „Frankfurt liest ein Buch“, bei dem Gießen schon lange regelmäßig „mitliest“.

Das Publikum ist dem LZG treu geblieben. Momentan hat der Verein 277 Mitglieder, von denen manche sogar seit der ersten Stunde dabei sind. „Bei jeder Lesung sieht man ein bekanntes Gesicht. Es freut mich sehr, dass viele immer wieder zu uns zurückkommen“, bekundet Beatrice Kaiser. Überdies versucht das LZG momentan etwas frischen Wind in den kulturellen Bereich der Hochschulstadt zu bringen, um Literatur attraktiver für junge Menschen zu machen. Die Institution lockt mit teilweise unkonventionellen Autor*innen: Im Februar stellte Emma Becker ihren Roman La Maison vor. Um einen besseren Einblick in das Leben einer Sexarbeiterin zu erhalten, arbeitete die Schriftstellerin zwei Jahre in einem Bordell in Berlin. Ihre Eindrücke und Erfahrungen sammelte sie schließlich in einem Buch, das sie im Februar dieses Jahres dem Publikum des LZGs vorstellte. „Wir wollen Horizonterweiterungen kreieren, Menschen anregen, über ihr Umfeld hinauszudenken. Vor allem aber möchten wir neue Wege aufzeigen“, erklärt Tabea Knispel: „Neue Wege mit Literatur umzugehen.“ „Ich würde jedem raten, mal vorbeizukommen, und dann einfach einen coolen Abend zu genießen“, fügt Beatrice Kaiser hinzu. 

Über zehn Jahre nach Gründung des Vereins dient dieser nicht nur der Pflege von Literatur und Kultur, er ist vielmehr zu einer Schnittschnelle für Gießens kulturelles und literarisches Leben geworden. Für die Zukunft wünscht sich Janine Clemens übrigens, dass alles bleibt wie es ist: „Wir sind ein harmonisches Team mit einem großartigen Vorstand. Ein bunter Verein, der stetig wächst. Ich wünsche mir, dass wir so bunt und so vielfältig bleiben.“