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Von Alix Sophie Czaplinski

Sherlock Holmes – eine Fanfiction?
Foto: Alix Sophie Czaplinski

Wenn wir heute an Sherlock Holmes denken, trägt er eine Jagdmütze auf dem Kopf und ist in einen langen Mantel gehüllt. Dabei entsprang das berühmte Outfit gar nicht Arthur Canon Doyles Feder, als er den Schnüffler 1886 schuf. Sidney Paget, Illustrator für das Strand Magazine, in dem die Detektivgeschichten veröffentlicht wurden, hatte eine Schwäche für den sogenannten Deerstalker, der heute nicht mehr vom Kopf des eifrigen Ermittlers wegzudenken ist. Bei den Geschichten rund um Sherlock Holmes und Dr. Watson handelt es sich also um „Fanfictions“. Das behauptet zumindest Francesca Coppa, amerikanische Literaturwissenschaftlerin, in ihrem Handbuch „The Fanfiction Reader“. 

Fanfictions sind schon lange kein neues literarisches Phänomen mehr. Sogar an der Justus-Liebig- Universität (JLU) haben sie Einzug in ein Seminar gehalten. Einmal wöchentlich liest und diskutiert die kleine Gruppe von Studierenden um Dozentin Annette Simonis, Professorin für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft, über den Ursprung und die Vielfalt der von Laien verfassten Textformen.

Doch was genau ist eine Fanfiction? Dr. Martina Stemberger, Dozentin und Lektorin aus Wien, definiert in ihrem Buch Homer Meets Harry Potter die „bunte Welt der Fanfiction“ als ein „stark kollektiv(es)“ Projekt. „Fandoms“, also die Gesamtheit der Fans eines bestimmten Themas, beschäftigen sich in Online-Portalen mit unterschiedlichen Geschichten. Der Texttyp spielt hierbei keine Rolle. Romane, Comics, Filme: Alles ist erlaubt. Sogar historische Persönlichkeiten sind ein beliebtes Thema, wie zum Beispiel fiktive Briefwechsel zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe.

Gemeinsam werden auch Handlungsstränge für Figuren verfasst, die in der Geschichte, für die sie erschaffen wurden, nicht erzählt werden. „Was wäre, wenn Anakin Skywalker einen großen Bruder hätte?“, fragt sich ein User bei „Fanficiton.net“, dem größten Online-Portal für Geschichten dieser Art. Dann fängt er an zu erzählen, was dieser große Bruder in der Star-Wars-Saga hätte verändern können. Manchmal wird sogar die Geschichte, nachdem der eigentliche Autor sie schon längst abgeschlossen hat, einfach weitergeschrieben. „Stell Dir vor, du hast das Ende von Harry Potter nicht gemocht“, erklärt eine Studierende aus dem Seminar von Annette Simonis. „Und dann fängst Du an zu schreiben. Und plötzlich stellst Du fest, im Internet gibt es eine ganze Community, die sich auch damit beschäftigt. Man schreibt in einer Gemeinschaft, kommentiert sich gegenseitig. Es ist also etwas sehr Interaktives.“

Hitzige Diskussionen und offene Gespräche

Jeden Montag treffen sich die 14 Teilnehmer*innen des Kurses mit Annette Simonis im virtuellen Seminarraum. Dann werden die gemeinsam gelesenen Texte nicht nur besprochen, sondern auch lebhaft diskutiert: Was bedeutet Autorschaft? Wenn Texte kollektiv geschrieben werden, wer darf sie dann veröffentlichen? Soll dann überhaupt veröffentlicht werden? Soll die Geschichte weltbekannt werden, wenn dafür einige Mitverfasser außen vorgelassen werden? Auf diese Fragen gibt es keine richtige oder falsche Antwort, aber genau das regt Debatten in der Lehrveranstaltung an: „Im Masterseminar gibt es mehrere, die sich mit dem Thema Urheberschaft oder dem Verlagswesen auskennen. Es kommt zu Diskussionen, und wir reizen die Zeit immer voll aus“, offenbart eine Studentin.

Kreative Köpfe
Machen Mantel, Hut und Pfeife den 
beliebten Detektiv zur Fanfiction?,

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Die Teilnehmer*innen sind nicht nur begeisterte Leser von Fanfictions, einige verfassen sie auch selbst. „Ich habe bereits mich und meine Freunde in die entsprechende Welt geschrieben, oder eine eigene Protagonistin erfunden“, verrät eine Studentin. „Gemeinsam haben sie in diesen Welten Abenteuer erlebt und sind dann natürlich mit meiner Lieblingsfigur zusammengekommen.“ Doch gehen die Meinungen hier auseinander: „Ich lese diese Texte privat nicht“, bekennt eine andere Kommilitonin. „Natürlich wünsche ich mir manchmal, eine Geschichte würde weitergehen. Da respektiere ich aber den Wunsch des Autors, der ja dieses Ende für seine Charaktere schon lange geplant hat.“ Bei einer Sache ist man sich aber einig: Wie viel Neues jede*r Teilnehmer*in bis jetzt gelernt hat, selbst die, die sich schon als Autoren ausprobiert haben. „Ein überraschender Fakt war für mich, dass Fanfictions in Deutschland ihre Anfänge in Animes und Mangas fanden, womit ich nicht gerechnet habe“, legt eine Lernende dar. Überraschend, da in Amerika Science-Fiction-Texte und -Serien die Einführung in die literarischen Nischengattung darstellen. „Ein Text muss nicht immer professionell geschrieben sein, um gut zu sein. Das wusste ich nicht, aber ich finde das toll“, gibt eine andere ganz offen zu.

Doch was ist nun mit Sherlock Holmes? Das Weiterspinnen von Geschichten, selbst von so bekannten wie die um den Detektiv und seine Ermittlungen, hört nie auf. Ein Beispiel hierfür ist die BBC-Serie „Sherlock“. Die Autoren Steven Moffat und Mark Gatiss haben selbst betont, dass sie große Fans von Arthur Canon Doyles Geschichten sind. Sie haben den Ermittler einfach in das heutige London geschrieben, also auch ganz klar eine Fanfiction.