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Eintauchen in das New York des letzten Jahrhunderts

Von Annika Schroetter

Betty Smiths Ein Baum wächst in Brooklyn erzählt die Geschichte der jungen New Yorkerin Francie. Sie wächst in sehr armen Verhältnissen auf und kämpft für eine bessere Zukunft. Der 1943 veröffentlichte, für den Pulitzer-Price nominierte Roman und seine Verfilmung aus dem Jahr 1945 waren mir lange Zeit unbekannt. Meine Mutter schenkte mir schließlich ein Exemplar, da es das Lieblingsbuch meiner Oma gewesen ist. Auch für mich war es ein besonderes Leseerlebnis.

Heiter war ein Wort, das auf Brooklyn, New York, passte. Zumal im Sommer 1912. Als Wort besser war düster. Aber auf Williamsburg in Brooklyn traf das nicht zu. Prärie war ein hübsches Wort und Shenandoah hatte einen schönen Klang, doch sie ließen sich nicht auf Brooklyn anwenden. Heiter war das einzig passende Wort dafür, zumal an einem Samstagnachmittag im Sommer.“ Betty Smith fesselt die Lesenden gleich am Anfang durch ihre besondere Art, mit Worten umzugehen. Die Geschichte beschreibt das Leben der zu Beginn elfjährigen Francie Nolan. Sie lebt mit ihrem jüngeren Bruder Neeley, ihrer charmanten und entschlossenen Mutter Katie und ihrem alkoholkranken, aber auch sehr liebevollen Vater Johnny in New York. Francie, deren Ziel es ist, jedes Buch aus der Stadtbibliothek von A-Z zu lesen, verbringt ihre Zeit am liebsten auf einer Feuerleiter, die in die Krone des Baums vor ihrem Mietshaus ragt. Der Baum trotzt allen Widrigkeiten und inspiriert die Protagonistin Gleiches zu tun. Ihre Mutter setzt alles daran, ihren Kindern ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen, obwohl es der Familie eigentlich an allem fehlt. Francie wird älter, kämpft sich durch verschiedene Schulen und nimmt dabei so viel Wissen auf, wie sie nur kann. Viele Schicksalsschläge und Gräueltaten erschüttern die Nachbarschaft und Familie. So erlebt Tante Sissy zehn Fehlgeburten, ein Pädophiler treibt sein Unwesen im Stadtteil der Familie und Francies Vater stirbt an den Folgen seiner Alkoholsucht. 

Die bildhafte, ausgeschmückte Sprache und die detaillierten Beschreibungen verbinden die Leser*innen mit Francies Sicht und Weltwahrnehmung. Besonders durchdacht wirken die ungewöhnlich vielen Nebenfiguren, die sich lebensnah und nahtlos in die Geschichte fügen. Insgesamt erscheint vieles die Realität New Yorks vor etwa hundert Jahren widerzuspiegeln. Trotz z. T. langer beschreibender Textpassagen, hält die Spannung der Geschichte an, wenn man einmal in Francies Leben eingetaucht ist. Wichtig und wegweisend ist Bildung, sie durchzieht die ganze Handlung und ermöglicht auch Francie, eigene Wege zu gehen.

Betty Smith hat mit Ein Baum wächst in Brooklyn einen Roman geschaffen, der fast 80 Jahre nach seiner Veröffentlichung noch immer dramatisch und bereichernd ist. Er inspiriert dazu, an sich selbst und an eine bessere Zukunft zu glauben, um wie Francie, trotz schlechter Voraussetzungen und reichlich Gegenwind, eigene Träume zu verwirklichen.

Smith, Betty. Ein Baum wächst in Brooklyn. Berlin: Insel Verlag 2017.